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Aus: Ausgabe vom 28.02.2024, Seite 8 / Ausland
Kriegspolitik

»Das ist ein hochgefährliches Spiel«

Bundeswehreinsatz im Roten Meer ist eine Eskalation mit Ansage. Ein Gespräch mit Norman Paech
Interview: Annuschka Eckhardt
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Schippert im Roten Meer: Fregatte »Hessen« (Wilhelmshaven, 8.2.2024)

Seit Montag befindet sich die Bundeswehr im Einsatz im Roten Meer. Die Vorgeschichte: Am 10. Januar waren in der Resolution 2722 des UN-Sicherheitsrats die Angriffe der jemenitischen »Huthis« bzw. Ansarollah verurteilt worden. Einen Tag später bombardierten die USA und Großbritannien den Jemen. Lässt sich dieser Angriff mit der Resolution legitimieren?

Die Resolution 2722 deckt einen Angriff nicht. Es gibt kein Mandat für ein militärisches Eingreifen in diesen Konflikt. Es ist unklar, wen man angreift, denn die »Huthis« sind ja auf einem Territorium, welches in der Souveränität der immer noch anerkannten jemenitischen Regierung ist.

Und wie legitimieren sie den Angriff?

Den Angriff auf das Territorium legitimieren sie mit dem Selbstverteidigungsrecht. Dieses ist ein Recht, welches Staaten gegen Staaten haben. Hier geht es aber gegen eine Organisation, denn die »Huthis« haben nicht die Souveränität des Jemen, die bei der immer noch anerkannten Regierung liegt. Darüber gehen die USA hinweg und sagen: Wir sind angegriffen worden und deswegen haben wir das Verteidigungsrecht.

Am 12. Januar schrieb London einen Brief an den UN-Sicherheitsrat unter Bezugnahme auf Artikel 51 der UN-Charta und begründete die Angriffe auf den Jemen entsprechend mit »Selbstverteidigung«. Wie plausibel ist das angesichts der Tatsache, dass zwischen Sanaa und London ca. 5.600 Kilometer liegen?

Das kann man nur damit begründen, dass britische Militärschiffe angegriffen worden sind. Sie gelten rechtlich als Teil des Territoriums. Nun geht es in der »Operation Prosperity Guardian« offiziell um den Schutz der freien Handels- und Schiffahrtswege. Handelsschiffe genießen nicht den Schutz der territorialen Souveränität, die angegriffen sein muss, um ein Selbstverteidigungsrecht geltend machen zu können.

Der Name des Einsatzes ist überraschend ehrlich: »Operation Prosperity Guardian«, also Operation Wohlstandswächter. Sind Angriffe auf jemenitisches Land gerechtfertigt, um westlichen Wohlstand zu schützen?

Nein. Ursprünglich wurde es der Öffentlichkeit ja auch so verkauft: Freiheit der Handelswege, diese müssen wir erkämpfen. Aber das ist auf jeden Fall keine Legitimation, militärisch einzugreifen! Zur Lösung von Konflikten muss man an den Verhandlungstisch. Man kann nicht einfach sagen: Jetzt greifen wir irgendein Land an, um den Handelsweg freizukriegen. Das ist nach dem geltenden Völkerrecht nicht möglich.

Beim Verteidigen des Wohlstands im Roten Meer macht auch die BRD mit der »Fregatte Hessen« seit Montag mit …

Der Bundestag hat nur einen Einsatz außerhalb jeder territorialen Angriffe mandatiert. Das heißt, für die Bundeswehr käme ein Angriff auf jemenitisches Territorium gar nicht in Frage. Dann bleibt die Frage: Welche Schiffe können sie dort schützen? Gegenüber Angriffen der »Huthis« gegen deutsche Schiff können sie sich natürlich verteidigen. Das Zögern der Bundesregierung beim EU-Einsatz im Roten Meer, »Aspides«, mitzumachen, hing auch damit zusammen, dass sie nicht in einen unübersichtlichen Konflikt mit möglichen militärischen Konsequenzen hineingezogen werden möchte. Aber dann gab es sozusagen wieder eine Koalition der Willigen, und da wollte man dabei sein.

Eine kluge Entscheidung?

Nein. Das ist eine Eskalation des Krieges gegen Gaza. Und hier werden weitere Fronten geöffnet in Richtung Iran. Wir wissen, dass der israelische Premier Benjamin Netanjahu alles versucht hat, um die USA in einen Krieg gegen Iran hineinzuziehen. Dies ist ein weiterer Schritt, der die Möglichkeit eröffnet, auch gegen den Iran vorzugehen. Der Iran wird ja beschuldigt, die »Huthis« zu unterstützen. Das ist ein hochgefährliches Spiel und ich bin der Überzeugung, es hätte einen Weg der Verhandlungen mit den »Huthis« gegeben, denn sie haben ein klares politisches Ziel. Sie wollen ja nicht die Waren von den Schiffen haben, sondern machen ihre Angriffe abhängig von der Beendigung des Krieges gegen Gaza. Diese Ursache des Konflikts ist überhaupt nicht thematisiert worden, die USA haben sofort losgeschlagen und den militärischen Weg gewählt, der immer der falsche ist.

Norman Paech ist Jurist und emeritierter Professor für Politikwissenschaft und Öffentliches Recht an der Universität Hamburg. Er nimmt am 29.2. um 19 Uhr an einer Podiumsdiskussion zur Finissage der Ausstellung Guernica-Gaza in der jW-Maigalerie teil

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