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Aus: Ausgabe vom 28.02.2024, Seite 4 / Inland
Rassismus

Zweiter Prozess zu Mord an Samuel Yeboah

Oberlandesgericht Koblenz: Verteidigung plädiert auf Freispruch
Von Kristian Stemmler
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»Offenlegung aller Akten!« forderten Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude schon 2022

Samuel Kofi Yeboah hatte keine Chance. Der Ghanaer erlag am 19. September 1991 nach einem Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis schwersten Brandverletzungen. Im Oktober 2023, mehr als 32 Jahre später, hatte das Oberlandesgericht Koblenz (OLG) bereits den Neonazi Peter S. für die Tat nach Jugendstrafrecht zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Vor dem selbem Gericht hat am Dienstag ein zweiter Prozess zu dem Komplex begonnen. Die Generalbundesanwaltschaft wirft dem Angeklagten – dem 54 Jahre alten Neonazi Peter St. – nun Beihilfe zum Mord und zum Mordversuch in 20 Fällen vor: Er habe Peter S. ermutigt, den Anschlag zu begehen.

Laut Anklage soll der Beschuldigte in der Nacht vom 18. auf den 19. September 1991 mit seinem Namensvetter Peter S. und einem weiteren Neonazi eine Gaststätte in Saarlouis besucht haben, heißt es in einer Mitteilung des OLG vom 2. Februar. Die Männer hätten über rassistische Anschläge auf Unterkünfte für Asylsuchende gesprochen, etwa über die Pogrome in Hoyerswerda, die am 17. September begonnen hatten. Peter St. hatte damals laut Anklage »eine führende Rolle in der lokalen Skinhead-Szene« inne, vertrete heute noch »eine von nationalsozialistischen und rassistischen Überzeugungen geprägte Ideologie«. Bei dem Gespräch habe er »im Beisein des ihm untergebenen Peter S.« gesagt: »Hier müsste auch mal so was brennen oder passieren.«

»Beeinflusst und bestärkt durch diese Aussage« habe sich S. kurz darauf in den frühen Morgenstunden des 19. September 1991 zu dem Wohnheim für Asylsuchende begeben. Im Treppenhaus habe er Benzin ausgegossen und angezündet. Das Feuer erfasste Samuel Kofi Yeboah, der noch am selben Tag in einer Klinik starb. Zwei weitere Hausbewohner konnten sich nur durch Sprünge aus dem Fenster retten und trugen Knochenbrüche davon. Die übrigen 18 Bewohnern konnten sich unverletzt in Sicherheit bringen.

Zum Prozessauftakt äußerte sich der Angeklagte nicht. Sein Verteidiger trug allerdings eine Erklärung vor. In der verglich er die Anklage groteskerweise mit dem Scheinriesen Tur Tur aus dem Kinderbuch »Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer« – eine Figur, die nur aus großer Entfernung riesig und beeindruckend wirkt, beim Herantreten aber schrumpft. In dem Prozess wird es vor allem um die Aussage des dritten Mannes in der Gaststätte gehen, auf die sich die Bundesanwaltschaft stützt.

Verteidiger Wolfgang Stahl sagte nach der Verhandlung laut dpa, es sei »durchaus denkbar«, dass sein Mandant »eine führende Person in der damaligen rechten, rechtsextremistischen Skinhead-Szene« gewesen sei. Dies allein begründe aber noch keine Beihilfe. Die Verteidigung wolle einen Freispruch. Sein Mandant, so Stahl, habe immer bestritten, dass er Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte gutheiße.

Dass der Fall nach so langer Zeit aufgeklärt werden konnte, ist einer Zeugin zu verdanken. Sie hatte sich bei der Polizei gemeldet und berichtet, dass Peter S. ihr bei einer Feier mit Blick auf den Brandanschlag anvertraut hatte: »Das war ich und sie haben mich nie erwischt.« Die Polizei hatte die Ermittlungen nach der Tat nur halbherzig betrieben und schnell eingestellt. Später räumte sie Defizite ein und entschuldigte sich dafür. In dem Verfahren sind zunächst 16 weitere Verhandlungstage bis Anfang Juni terminiert.

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