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Aus: Ausgabe vom 27.02.2024, Seite 8 / Ausland
DHKP-C Prozess

»Der Prozess ist eine Auftragsarbeit für die Türkei«

Über die Anwendung des Paragrafen 129 b im Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der DHKP-C. Ein Gespräch mit Roland M. Meister
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Von der Verfolgung nach Paragraph 129 b sind oft türkische und kurdische Linke betroffen

Die »Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen« nennt in einer Mitteilung von Anfang Februar die Anwendung des Paragraphen 129 b bei dem Prozess gegen drei mutmaßliche Mitglieder der »Antiimperialistischen Revolutionären Volksbefreiungspartei – Front«, DHKP-C, »problematisch«. Können Sie das ausführen?

Die Vereinigung führt dankenswerterweise eine Prozessbeobachtung des am 14. Juni 2023 begonnenen Staatsschutzverfahrens vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf durch. Die drei Angeklagten Özgül Emre, İhsan Cibelik und Serkan Küpeli sollen angeblich Kader der revolutionären DHKP-C aus der Türkei sein und deren Deutschland-Komitee gebildet haben. Bei dem Prozess handelt es sich nach Ansicht der Verteidigung um eine Auftragsarbeit für das türkische Regime.

Mittels des Paragraphen 129 b werden mutmaßliche Mitglieder krimineller und terroristischer Vereinigungen im Ausland verfolgt. Worauf stützt sich die Einschätzung der Anklage, die DHKP-C sei eine terroristische Organisation?

Die DHKP-C ist eine in der Türkei tätige antifaschistische oppositionelle Kraft gegen das dortige diktatorische Erdoğan-Regime. Der Widerstand wird auch bewaffnet geführt. Nach Ansicht der Verteidigung ist dies bereits unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten zulässig. Bislang sind von der Verfolgung nach Paragraph 129 b meist türkische und kurdische Linke betroffen, die schon viele Jahre in Deutschland leben oder hier geboren sind und keine Straftat begangen haben. Ihnen werden legale politische Tätigkeiten wie das Organisieren von Konzerten und Kundgebungen zur Last gelegt. Die Verfahren gegen mutmaßliche DHKP-C-Mitglieder beruhen direkt oder mittelbar wesentlich auf Unterlagen aus der Türkei, wo mit Foltermethoden und der Fälschung von Beweismitteln gearbeitet wird. Die vorliegenden Anklagen stützen sich erheblich auf Material, das angeblich bei der Durchsuchung des Amsterdamer Pressebüros »Özgürlük« am 1. April 2004 gefunden wurde. Die niederländischen Ermittlungsbehörden wurden unter anderem durch die italienischen Ermittlungsbehörden informiert, die ihre Informationen aus der Türkei erhielten.

Warum können die sichergestellten Datenträger aus Ihrer Sicht nicht Grundlage für ein Verfahren und eine Verurteilung sein?

Das Beweisverwertungsverbot ergibt sich aus der Annahme der Folter, die Einführung und Verwertung widerspricht zudem den Grundsätzen eines fairen Strafverfahrens im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. In dem Strafverfahren sind mehrere Terabyte digitaler Datenträger Gegenstand des Verfahrens und sollen als Beweismittel verwendet werden. Das ist rechtswidrig. Die Beschaffung, Extraktion, Speicherung, Handhabung, Nutzung und Analyse digitaler Daten und deren Präsentation vor Gericht ist Aufgabe der forensischen Informatik. Ziel ist vor allem, die Integrität von Beweismitteln zu schützen und zu gewährleisten. Dies ist hier nicht der Fall.

Ist es nicht Usus, dass digitale Daten in politischen Prozessen verwendet werden?

Ja. Es ist eine internationale Erscheinung, dass digitale Daten sowie Beiträge im Internet und in den sozialen Medien genutzt werden, um Oppositionelle zu verfolgen. Auch in Deutschland werden solche Beweismittel genutzt. Die Prüfung von Computersystemen, die Beweismaterial enthalten könnten, muss dabei auf Nur-Lese-Medien auf Eins-zu-eins-Kopien von Datenspeichern durchgeführt werden. Um zu verhindern, dass die Integrität des Beweismaterials beim Kopieren beeinträchtigt wird, müssen »Hash-Werte« genannte Datenauszüge erfasst und protokolliert werden. Dies allein ist noch nicht ausreichend. Um die Integrität des Beweismittels zu schützen und seine technische und rechtliche Kontrolle zu gewährleisten, muss die »Bildaufnahme« in Anwesenheit der betroffenen Personen oder ihrer Anwälte erfolgen. Im betreffenden Fall können daher die digitalen Daten nicht als Beweismittel verwendet werden.

Roland M. Meister ist Rechtsanwalt von Serkan Küpeli

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