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Aus: Ausgabe vom 26.02.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Britisches Gesundheitssystem NHS

Überarbeitet und unterbezahlt

Britische Assistenzärzte tagelang im Streik für 35 Prozent mehr Geld. Regierung versucht, Misere des Gesundheitswesens auf sie abzuwälzen
Von Dieter Reinisch
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Zehn Streiks in den letzten zwölf Monaten und von Aufgeben keine Spur: Die Assistenzärzte am 3. Oktober in Manchester

Zehntausende Assistenzärzte in England haben ihre Arbeit erneut niedergelegt. Es ist bereits der zweite fünftägige Streik in diesem Jahr und der zehnte Ausstand innerhalb der vergangenen zwölf Monate in dem langjährigen Lohnstreit der britischen Ärztegewerkschaft British Medical Association (BMA) mit der konservativen Regierung. Die Arbeitsniederlegungen begannen am Sonnabend mit Beginn der Frühschicht und werden bis Mittwoch andauern. In den drei Tagen zuvor hatten bereits die Assistenzärzte in Wales für 72 Stunden gestreikt. Im März wird es zu einem ganztägigen Ausstand der Berufsgruppe in Nordirland kommen. Die Assistenzärzte machen die Hälfte der Ärztebelegschaft in Großbritannien aus.

Jude Innes, einer der Streikenden, sagte während eines Protests in London am Sonnabend zu Medienvertretern, aufgrund der gesunkenen Löhne würde es eine große Personalknappheit geben. Die Ärzte und das restliche Personal des Gesundheitswesens NHS seien überarbeitet: »Die Leute werden entweder ganz aus dem NHS gedrängt, oder sie wandern in andere Länder ab, wo sie das gezahlt bekommen, was auch hier noch vor 15 Jahren gezahlt wurde.« Dies würde auch zu Lasten der medizinischen Versorgung der Patienten gehen. Seit 2010 gab es laut Berechnungen des BMA einen Reallohnverlust von weit über 25 Prozent im NHS. »Unsere Forderung war daher immer dieselbe: Wir wollen, dass die Löhne von 2008 wiederhergestellt werden«, so Innes.

Die BMA fordert daher für die Assistenzärzte eine Gehaltserhöhung von 35 Prozent, um die niedrigen Abschlüsse seit 2008 und die enorme Teuerungswelle der vergangenen beiden Jahre, bei denen die Inflation in manchen Monaten bei bis zu 15 Prozent lag, auszugleichen. Die letzten Gespräche zwischen BMA und Regierung scheiterten im Dezember. Damals wurde den Ärzten ein zusätzliches Plus von drei Prozent auf die bereits beschlossene Lohnerhöhung von neun Prozent angeboten. Für die Gewerkschaft nicht annähernd das, was sie fordert, um die Reallohnverluste aufzufangen.

Die Unterfinanzierung und Personalknappheit des NHS hat mittlerweile dazu geführt, dass 7,6 Millionen Menschen teilweise seit Monaten, in Ausnahmefällen sogar über ein Jahr, auf ihre Behandlung warten müssen. Seit der Arbeitskampf im NHS im Herbst 2022 begann, mussten 1,3 Millionen Behandlungen verschoben werden. Das greift die Regierung auf, um den Ärzten selbst die Schuld für die langen Wartelisten zu geben. Dass der Versuch, die Verantwortung abzuschieben, nicht funktioniert, zeigen Umfragen wie jene des Meinungsforschungsinstituts Santanta vom Donnerstag. Demnach liegt die Unterstützung für die kämpfenden Ärzte bei 53 Prozent der Befragten. Nur 28 Prozent sagten, sie lehnen den Streik ab.

Dennoch bleiben Premier Rishi Sunak und seine Gesundheitsministerin Victoria Atkins hart: Keine Gespräche, während gestreikt wird. Allerdings hätte die konservative Regierung die Arbeitskämpfe stoppen können. Sie hätte »einfach ein glaubwürdiges Gehaltsangebot für Ärzte in England« machen können, wie die Kovorsitzenden der BMA-Assistenzärzte, Robert Laurenson und Vivek Trivedi, vor Streikbeginn in einer Pressemitteilung erklärten. Die Ärztegewerkschaft hatte der Regierung sogar angeboten, die Arbeitsniederlegungen im Gegenzug für Gespräche zu verschieben. Das Angebot der BMA wurde von der Regierung abgelehnt.

Zwei Drittel der Assistenzärzte sind Mitglieder der BMA, aber auch die kleinere Gewerkschaft Hospital Consultants and Specialists Association nimmt an den Streikaktionen teil. An dem 72stündigen Ausstand der Mediziner in Wales hatten sich nahezu alle 3.000 Assistenzärzte beteiligt. Es war die zweite Streikrunde, nachdem im Dezember 98 Prozent der Ärzte für Arbeitskämpfe gestimmt hatten. Sie fordern wie ihre Kollegen in England Gehaltserhöhungen in einem Rahmen, der den Reallohnverlust seit 2008 ausgleicht. Aus denselben Gründen stimmten die Assistenzärzte in Nordirland mit 97 Prozent für einen 24stündigen Streik, der am 6. und 7. März stattfinden wird.

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