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Aus: Ausgabe vom 26.02.2024, Seite 8 / Ansichten
Kommentar

Kiffen ohne Profit

Von Florian Osuch
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Neueste Blüte der deutschen Vereinskultur: Cannabis sativa

Die Bundesregierung hat am Freitag eine weitreichende Entkriminalisierung im Umgang mit Cannabis beschlossen. Dieser Schritt war aus drogenpolitischer Sicht überfällig. Viel zu lange wurden Kiffer kriminalisiert, in Knäste gesteckt oder anderweitig drangsaliert. Vom Konsum hat das niemanden abgehalten. Kritiker der Entkriminalisierung führen in der Regel gesundheitliche Aspekte an. Der Konsum von Cannabis sei vor allem für junge Menschen schädlich. Ein Verbot schützt diese allerdings nicht. Keine illegalisierte Substanz ist vermutlich ähnlich leicht verfügbar.

Das Besondere am vorliegenden Gesetz ist die Art der Cannabisfreigabe. Im Zentrum stehen privater sowie kollektiver Anbau, beides entspricht nichtprofitorientiertem Wirtschaften. Die internationalen Cannabiskonzerne bleiben außen vor – fragt sich wie lange. Erst in einem weiteren Schritt, der als zweite Säule bezeichnet wird, sollen »regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten« erprobt werden.

Ab dem 1. April darf jeder Volljährige zu Hause drei Pflanzen züchten. Damit sollte sich selbst ohne professionelle Ausstattung der Eigenbedarf decken lassen. Der Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis pro Person bleibt straffrei – eine beträchtliche Menge. Ab Juli dürfen dann Nonprofit-Clubs für ihre Mitglieder Cannabis anbauen. Kommerzieller Handel und Verkauf sind ausgeschlossen. Politökonomisch ähneln diese Anbauvereinigungen eher einer Genossenschaft. Der Gewinn ist kollektiv angebautes Cannabis, ein monetärer Profit darf nicht erwirtschaftet werden. Die Produktionsmittel gehören dem Cannabisclub bzw. seinen Mitgliedern. Alle Schritte von Aufzucht bis Abgabe finden lokal, selbstorganisiert und nicht gewinnorientiert statt.

Das am Freitag beschlossene Gesetz ist keine umfassende Legalisierung – und das ist auch gut so. Wer eine weiterreichende Liberalisierung fordert, wie beispielsweise einige aus der Partei Die Linke, muss konkretisieren, was damit gemeint ist. Denn schaut man nach Kanada – wo seit 2018 Cannabis legal ist –, kann man sehen, wohin das führt: Dort dominieren wenige Aktienkonzerne Herstellung, Vertrieb und Verkauf von Cannabis. Das Genussmittel ist vollständig in den kapitalistischen Markt integriert. Blackrock und andere Finanzinvestoren mischen kräftig mit. Diese Variante hätten sich hierzulande auch die Cannabiskonzerne sowie die Global Player der Pharma-, Agrar- und Chemiebranche gewünscht. Aus einer kapitalismuskritischen Sicht ist das Konzept der Cannabisclubs zu begrüßen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Paul V. aus 52062 Aachen (27. Februar 2024 um 11:02 Uhr)
    Spießer aller Länder, vereinigt Euch! Den Gegnern einer Cannabisfreigabe entgegne ich, wie wäre es denn eurerseits mit einem (hysterischen) Aufschrei gegen Alkohol, Volksdroge Nummer Eins! Dem Vernehmen nach mehrere 10.000 Tote im Jahr bei uns. Genaue Zahlen kenne ich nicht. Wer kiffen will, soll das tun. Wer Alkohol trinken will, soll das auch tun. Und die externen Effekte zulasten der Gesellschaft möglichst gering halten. Prost! Zum Wohle! »Morgens ein Joint / Und der Tag ist Dein Freund!«
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinz-Joachim R. aus Berlin (26. Februar 2024 um 19:48 Uhr)
    Ich gebe allen vorherigen Leserbriefschreibern völlig recht und erlaube mir zu ergänzen, dass mit der weiteren Dezimierung der gesundheitlichen Versorgung Selbstbetäubung das Allheilmittel nebst dem Ziel der auch eingeschränkten Urteilskraft zu gesetzmäßig gesellschaftlich parasitär faulenden Entwicklungen ist. Seit Monaten wiederholt mangelt es an Schmerzmitteln und anderen Medikamenten – übrigens auch auf pflanzlicher Basis, entgegen dem chemischen Zeug, so auch von Bayer, das mir keinen Termin für beispielsweise die Wiederverfügbarkeit von Phytodolor angeben konnte. Vielleicht sollte ich auf Glyphosat umsteigen, was ja zu haben ist. Zu den »Hanfgranaten« fällt mir ein, dass ja die US-Soldaten u. a. in Afghanistan ja mit entsprechenden Betäubungsmitteln »tätig« waren. – Ist doch ein guter Einstieg für die Bundeswehr-Rangers?
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christel H. aus Aschersleben (26. Februar 2024 um 14:47 Uhr)
    Hoffentlich werden nicht Kritiker der Cannabisfreigabe auch noch in die rechte Ecke gestellt. »Alle Schritte von Aufzucht bis Abgabe finden lokal, selbstorganisiert und nicht gewinnorientiert statt.« Das klingt ja fast sozialistisch. Wer soll denn das kontrollieren, wenn die Büchse der Pandora einmal geöffnet ist? Ein Verbot für Kinder und Jugendliche ist ziemlich sinnfrei. Kinder können sich auch heute – trotz Alkoholverbot – jede erforderliche Menge Alkohol besorgen und sich ins Koma saufen. Naiv ist, wer glaubt, dass das bei Cannabis nicht klappt. Da wird mal wieder das Pferd am falschen Ende aufgezäumt. Statt Cannabis zu Genusszwecken freizugeben, wäre es erst einmal wichtig und richtig gewesen, dies in der Medizin zu tun, um Menschen, die täglich unerträgliche Schmerzen leiden, Erleichterung zu verschaffen. Aber alles hängt mit allem zusammen – da unser Gesundheitswesen auf dem Zahnfleisch kriecht, wird man darauf wohl noch eine ganze Weile warten müssen.
  • Leserbrief von A. Katz aus Berlin (26. Februar 2024 um 13:23 Uhr)
    Prima! Hanfgranaten statt Handgranaten … und die Welt wäre um einiges besser und friedlicher!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (26. Februar 2024 um 11:48 Uhr)
    Genau: Kiffen ohne Profit ist fast so wertvoll wie Klassenkampf und Überzeugungsarbeit. Na da werden die Kapitalisten ja erzittern, weil wir uns nun doch jetzt kollektiv und hirnlos, ähm ich meinte natürlich straflos berauschen dürfen! Und wenn wir dann bedröhnt in der Ecke rumlungern – ganz friedlich natürlich, wir sind ja gute Staatsbürger – dann, ja dann fällt mir doch glatt das Sozialdemokratische Mailiedchen (1923) von Erich Weinert ein. Warum nur?

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