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Aus: Ausgabe vom 24.02.2024, Seite 11 / Feuilleton
Berlinale

Da können sie lange warten

Berlinale. Der deutsch-tansanische Dokfilm »Das leere Grab« über ein schändliches Nachspiel deutscher Kolonialgeschichte
Von Ronald Kohl
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Die Leere der Gräber schmerzt noch immer: Die Nachfahren der Ermordeten kommen nicht zur Ruhe

»Das leere Grab« ist ein Film, »der einen Anstoß geben möchte«, sagt Agnes Lisa Wegner, die gemeinsam mit Cece Mlay Regie geführt hat, nach der Vorführung der deutsch-tansanischen Koproduktion, die ein bis heute traumatisierendes koloniales Verbrechen thematisiert.

Vor rund 120 Jahren reagierte das deutsche Militär in Tansania auf Widerstände jeder Art mit äußerster Grausamkeit. Die im Film porträtierten Familien sprechen noch immer mit großem Stolz von ihren aufständischen Vorfahren. Doch äußern sie auch Trauer und Zorn. Sie fordern die Rückgabe der Gebeine ihrer Urgroßväter.

Weit über 10.000 Schädel und Skelette, die damals zumeist aus Gräbern gestohlen wurden, lagern in deutschen Museen – großangelegte »Untersuchungen« sollten sogenannte Rassentheorien bestätigen. Der Rückführung der Gebeine nach Tansania stehen bis heute etliche Hindernisse im Wege. Doch geht der Film aus verständlichen Gründen überaus vorsichtig mit eventuellen Hürden um. Sie lassen sich oft nur erahnen. »Das leere Grab« ist vor allem ein Appell, der mit sehr einfühlsamen und zugleich aufwühlenden Aufnahmen erzählt, warum die Nachfahren der Ermordeten nicht zur Ruhe kommen können und warum die leeren Gräber noch immer schmerzen.

Den denkbar stärksten Kontrast zu den Bildern aus Tansania, die die Familien im Alltag und während spiritueller Zeremonien zeigen, bilden die Aufnahmen aus Berlin: der Alte Fritz und sein monumentaler Ritt unter den Linden und schließlich aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, modernste Architektur, voll klimatisiert. Kameramann Marcus Winterbauer zeigt uns unsere Welt aus der Perspektive von Menschen, die hier auf Menschlichkeit hoffen oder wenigstens auf Gerechtigkeit. Was sie finden, sind Verständnis, Unterstützung und warme Worte. Auch wenn die Protagonisten des Films am Ende noch immer mit leeren Händen dastehen, scheint es doch Hoffnung zu geben, die sich nicht nur aus der Entschlossenheit der Nachfahren speist.

Laut einer Pressemitteilung vom 18. Januar vorigen Jahres sagte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hinsichtlich der Gebeine mit geklärter Herkunft: »Wir sind zur sofortigen Rückgabe bereit und warten jetzt auf Signale aus den Herkunftsländern.« Der etwas ungeduldige Unterton dieser Mitteilung klingt befremdlich von einer Institution, die sich nach der Übergabe der Gebeine aus der Berliner Charité im Jahr 2012 ganze fünf Jahre damit Zeit ließ, diese erst einmal zu reinigen.

»Das leere Grab«, Regie: Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay, BRD/Tansania 2024, 97 Min., »Berlinale Special«

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