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Aus: Ausgabe vom 24.02.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Ende einer Erfolgsgeschichte

Krise im China-Handel

Deutschlands wirtschaftliche Schwäche und politische Intrigen bremsen kommerzielle Beziehungen zum bisherigen Hauptpartner aus
Von Jörg Kronauer
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Das bilaterale Handelsvolumen sank 2023 um 15,5 Prozent und belief sich noch auf 253,1 Milliarden Euro

Lange Zeit gab es im deutschen China-Geschäft nur eine Richtung: nach oben. Und das meist ziemlich rasant. Kostengünstige chinesische Produkte, von Textilien bis zu hochwertiger Kommunikations- und Informationstechnologie, boomten in der Bundesrepublik und trieben die Importe hoch. Die Volksrepublik wiederum benötigte für ihren industriellen Aufschwung Maschinen, Anlagen und allerlei mehr. Vieles davon konnten deutsche Exporteure liefern. In wachsendem Maß kamen schließlich, weil China sich als überaus attraktiver Produktionsstandort erwies, auch deutsche Investitionen in das Land hinzu. 2016 stieg die Volksrepublik zu Deutschlands größtem Handelspartner auf – vor den USA und Frankreich. Zudem etablierte sie sich als drittgrößter Standort deutscher Auslandsinvestitionen nach den USA und Großbritannien. Nichts schien das BRD-China-Geschäft bremsen zu können – bis 2023 jedenfalls.

Als das Statistische Bundesamt Mitte Februar seine Außenhandelszahlen für das abgelaufene Jahr vorlegte, zeigte sich: Zum ersten Mal ist der China-Handel eingebrochen. Und zwar stark. Die Volksrepublik ist 2023 zwar Deutschlands größter Handelspartner geblieben. Das bilaterale Handelsvolumen sank jedoch um 15,5 Prozent und belief sich noch auf 253,1 Milliarden Euro – nur wenig mehr als das des Handels zwischen der BRD und den USA. Der stieg um 1,1 Prozent und erreichte 2023 rund 252,3 Milliarden Euro. »Setzen sich die Handelsentwicklungen des letzten Jahres fort«, hielt etwa der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Volker Treier, fest, »dann überholen die USA China als wichtigsten deutschen Handelspartner spätestens im Jahr 2025«.

Woran liegt es, dass der Warenaustausch mit China einbricht, obwohl die dortige Wirtschaft zur Zeit um gut fünf Prozent jährlich wächst? Was die deutschen Ausfuhren in die Volksrepublik anbelangt, kann man zentrale Ursachen klar festmachen. Eine liegt darin, dass China technologisch aufgestiegen ist, und viele Waren, die es früher importieren musste, mittlerweile selbst herstellt. Das gilt beispielsweise für Maschinen und für Anlagen, mit deren Lieferung deutsche Unternehmen lange Zeit viel Geld verdienten. Die Volksrepublik kauft, wie im August 2023 eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) belegte, seit rund zehn Jahren weniger davon im Ausland ein.

Eine zweite Ursache liegt darin, dass Beijing auf den vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump forcierten Wirtschaftskrieg gezwungenermaßen reagierte, indem es sich systematisch von Importen unabhängiger zu machen begann. Im Jahr 2020 beschloss es die Strategie der zwei Kreisläufe (Dual circulation), derzufolge besonderes Gewicht auf den inneren Kreislauf gelegt werden soll. Ein Aspekt der Strategie: Die Industrie soll nach Möglichkeit Einfuhren, die Washington jederzeit mit Sanktionen torpedieren kann, durch Waren ersetzen, die in China hergestellt werden. Das traf auch Waren aus Deutschland. Dessen Exporte in die Volksrepublik nahmen zwar wertmäßig noch bis ins Jahr 2022 zu; bereinigt um Preiseffekte aber gingen sie zuletzt zurück, laut Berechnung des IfW von 2018 bis 2022 bereits um 7,5 Prozent.

Ist eine Wende bei den deutschen Exporten nach China nicht in Sicht, so ist die Lage bei den entsprechenden Importen komplizierter. Deren massiver Einbruch im Jahr 2023 hat mehrere Ursachen. Ein geringer Teil dürfte sich durch den Rückgang der Erzeugerpreise in China erklären. Auswirkungen hatte zudem der deutlich schwächelnde deutsche Konsum. Das hat mutmaßlich dazu beigetragen, dass der Import chinesischer Elektronik in den ersten elf Monaten 2023 laut einer Analyse der Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest (GTAI) um 13,1 Prozent schrumpfte. Kann sich dies jederzeit wieder ändern, so entspricht der Rückgang bei der Einfuhr von Textilien aus China um 25,6 Prozent einer langfristigen Tendenz: Weil die Löhne in der Volksrepublik steigen, setzen Textilproduzenten bereits seit Jahren auf die Verlagerung ihrer Produktion nach Südost- und Südasien, wo die Löhne noch deutlich niedriger sind. Bangladesch etwa ist dabei, zum wichtigsten Lieferanten von Bekleidung für Deutschland aufzusteigen.

Nicht zuletzt wirkt sich die Krise der hiesigen Industrie auch auf die China-Importe aus. So kollabierte laut GTAI die Einfuhr von Chemieprodukten in den ersten elf Monaten 2023 und brach um 69,4 Prozent ein. Das erklärt sich auch daraus, dass die BRD-Chemieproduktion in den vergangenen zwei Jahren wegen des hohen Erdgaspreises um fast ein Viertel zurückgegangen ist. Die Branche bezog 2022 noch fast ein Fünftel ihrer chemischen Vorprodukte aus China. Allerdings deutet der Einbruch darauf hin, dass sie eine Eskalation des Wirtschaftskriegs gegen China fürchtet und sich zunehmend in anderen Ländern mit Industriechemikalien eindeckt.

Die GTAI-Analyse zeigt auch: Gegen den Trend hat im vergangenen Jahr die Einfuhr von Kraftfahrzeugen aus China um 35,6 Prozent zugelegt. Vor allem, weil chinesische Elektroautos immer stärker nachgefragt werden. Deren Marktanteil erreichte 2023 bereits 5,5 Prozent. Branchenexperten gehen davon aus, dass dieser weiter steigen wird. Das könnte die Importe aus der Volksrepublik wieder in die Höhe treiben. Könnte – denn die EU-Kommission denkt aktuell über Strafzölle auf die Einfuhr chinesischer Elektroautos nach. Diese würden, ebenso wie mögliche Strafzölle auf die Einfuhr von Solarzellen, eine erneute Zunahme des Imports aus China abwürgen – und zwar, weil dies politisch gewollt ist.

Hintergrund: Decoupling

Ein Beispiel dafür, wie sich der deutsche Handel mit China beschädigen lässt, liefern aktuell die Vereinigten Staaten. Zur Zeit stecken Tausende Fahrzeuge der Volkswagen-Marken Audi, Porsche und Bentley in US-Häfen fest. In ihnen ist ein kleines Bauteil enthalten, das laut Verdacht der US-Behörden in Xinjiang hergestellt worden sein soll. Träfe das zu, dürfte VW dieAutos nur dann in den USA verkaufen, wenn sich zweifelsfrei nachweisen lässt, dass bei der Produktion des Bauteils an keiner Stelle Zwangsarbeit genutzt wurde. Das ist nach Lage der Dinge kaum möglich, weshalb der Konzern das Bauteil nun ersetzen muss. Das Ganze hat System; der Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA), der seit dem 1. Juni 2022 in Kraft ist und sich gegen tatsächliche oder auch bloß vorgebliche Zwangsarbeit in Xinjiang richtet, hat inzwischen Importe im Wert von Milliarden US-Dollar in die USA gestoppt.

Dabei bleibt das Vorgehen wohl nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt. Auch die EU plant eine entsprechende Regelung, die Importe aus Xinjiang faktisch unmöglich machen soll – denn auch sie kehrt laut derzeitigem Diskussionsstand die Beweislast bei Vorwürfen von Zwangsarbeit einfach um. Zur Zeit steckt ein entsprechendes Gesetz im Abstimmungsprozess zwischen EU-Parlament, Kommission und Europäischem Rat. Der Chemiekonzern BASF hat kürzlich angekündigt, aus zwei Joint Ventures in Xinjiang auszusteigen, und auch VW denkt über den Erhalt seines Werks in Ürümqi, der Hauptstadt des Gebiets Xinjiang, nach.

Die Anlagen beider Konzerne gelten als leicht ersetzbar – und trotzdem kommt bzw. käme dem Rückzug der Unternehmen Symbolwirkung zu. Und womöglich nicht nur das. Adrian Zenz, evangelikaler Kronzeuge aller westlichen Uiguren-Kampagnen, behauptete vor kurzem, die Lieferketten in China seien allzu intransparent. Wolle man zuverlässig auf Güter aus Xinjiang verzichten, »dann muss man vielleicht das gesamte Land abstoßen«. Das Decoupling wäre komplett. (jk)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (23. Februar 2024 um 22:12 Uhr)
    Hat der evangelikale Kronzeuge Zenz sich früher einmal zu den Arbeitsbedingungen in deutschen Autofabriken in Brasilien, Mexiko etc. geäußert? Oder sollte man besser von Lüge und doppelter Moral ausgehen?

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