»Dadurch sinken ihre Chancen auf ein Bleiberecht«
Interview: Gitta DüperthalBerlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch, CDU, hat im Ausschuss für Integration und Antidiskriminierung gesagt, die neu eröffnete Schule im Ankunftszentrum Tegel für geflüchtete Kinder würde von Geflüchtetenorganisationen begrüßt. Wie stehen Sie zu dieser Schule?
Die Senatorin behauptete im Ausschuss, die Initiativen für die Geflüchteten wären in die Planung der Lagerschule einbezogen gewesen, würden dies unterstützen. Das ist gelogen. Uns das anzulasten ist Rufmord. Auch das Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige Geflüchtete und der Berliner Flüchtlingsrat kritisieren das Vorgehen der Senatorin. Im Ankunftszentrum Tegel eine Lagerschule einzurichten, den Kindern das Recht zu versagen, zumindest durch den Schulbesuch ein partielles Recht auf ein Leben außerhalb dieser Zeltstadt zu haben – damit wollen wir nichts zu tun haben. Sie auf dem Gelände in Containern zu beschulen bedeutet Ausgrenzung und keine Besuche von Schulkameraden von außerhalb des Lagers, Geburtstagsfeiern oder ähnliches. Alles, was das Leben von Kindern sonst ausmacht, abgesehen von der Vermittlung von Wissen und der deutschen Sprache, fällt weg. Auch der Verein »Moabit hilft« distanziert sich in einer Mitteilung, denn wir alle stehen für eine solidarische Politik. Wir waren weder in den Ausschuss noch zur Eröffnung der Lagerschule am Vortag eingeladen. Im Livestream sahen wir, was fälschlich über uns behauptet wurde.
Wie begründete die Senatorin ihre positive Wertung der Lagerschule?
Sie berichtete, dass Kinder sie vor Dankbarkeit umarmt hätten. Klar, sie wissen ja nicht, dass es vom ersten Tag an ihr Recht gewesen wäre, eine Schule zu besuchen. In Deutschland ist Bildung ein Grundrecht, es gibt die Schulpflicht. Wir finden es peinlich, sich dafür abzufeiern, dass man nach zwei Jahren auf einem abgeschotteten Lagerkomplex mit Zelten und Leichtbauhallen hinter Stacheldraht eine Schule errichtet – nur für ein Sechstel der Kinder dort. Sie bemühte übliche Floskeln: kein Platz in Schulen, Mangel an Lehrkräften. Mein Kollege Daniel Jasch hat dafür einen treffenden Vergleich. Als im Rahmen des Regierungsumzugs nach der Wiedervereinigung mehr als 2.000 Regierungsbeamte von Bonn nach Berlin zogen, hatte man diesen damals nicht gesagt »Eure Kinder müssen warten, es gibt keine Schulplätze«, sondern man schuf welche. Es ist also eine rassistische Entscheidung, wenn Kinder von Geflüchteten bis zu zwei Jahre darauf warten müssen. Man versucht so, Menschen vom System fernzuhalten: Halte ich Kinder von Bildung fern, sinken zugleich später ihre Chancen auf ein Bleiberecht. Das Ankunftszentrum Tegel soll wohl ein Abschreckungsort sein.
Solche Schulen sind nicht neu. Wieso kocht das Thema jetzt wieder hoch?
Alles, was es schon gab an diskriminierenden Maßnahmen und abgeschafft war, ist plötzlich wieder da. Geflüchtete werden erneut in Massenlagern untergebracht, die Bezahlkarte wird eingeführt, in den 90er Jahren gab es sie in Form von Gutscheinen. Es ist kein Zufall, dass sich in Zeiten von Gesetzesverschärfungen, repressiven Abschieberegeln und erweiterten Polizeirechten all diese alten überkommenen Debatten wieder verstetigen.
Wieso erfolgt kein Aufschrei, wenn mehr als 2.000 geflüchtete Kinder in Berlin auf Schulplätze warten?
Geflüchtete und ihre Kinder haben fast keine Lobby. Das Missmanagement ihrer Unterbringung eskaliert die Lage zum permanenten Notfall. Gesellschaftliche Kräfte überfordert es, ständig in Alarmbereitschaft zu sein. Die AfD verliert zwar in Umfragen vier Prozentpunkte, derweil sind aber alle anderen politischen Parteien nach rechts gerutscht, wollen »irreguläre Migration begrenzen« – abgesehen von der Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtlinge.
Wie kann dagegengewirkt werden?
Wer glaubt, dass Rechtsruck und Ausgrenzung nur Geflüchtete trifft, irrt. Als nächstes könnte es armutsbedrohte und andere marginalisierte Gruppen treffen. Am 3. Februar gingen dagegen etwa 300.000 Menschen bei der »Hand in Hand«-Demo in Berlin auf die Straße. Werden linke Diskurse laut, rutschen die rechten wieder in den Hintergrund.
Emily Barnickel ist Mitarbeiterin des Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen (BBZ)
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