4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 22.02.2024, Seite 14 / Leserbriefe

Aus Leserbriefen an die Redaktion

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Qualitätsschwund im ­Bildungswesen

Zu jW vom 14.2.: »Bei Schulabbruch Spitze«

Als jemand, der seit 37 Jahren im Bildungswesen arbeitet – erst in der DDR, dann in drei verschiedenen westlichen Bundesländern –, verfolge ich den Qualitätsschwund der Schulbildung hautnah, von immer neuen Reformsäuen verfolgt, die durchs Dorf gejagt werden und nichts bringen als kurzfristige Mitteleinsparungen. Die Ursachen des heutigen Lehrermangels gehen bis 1990 zurück, als man keine Lehrer einstellte und Schulen schloss, weil kurzzeitig die Schülerzahlen sanken. Viele Lehrer wichen in andere Berufe aus. Dann kamen Individualisierung, Inklusion, Abschaffung der Förderschulen, jahrgangsübergreifendes Lernen in der Grundschule, Binnendifferenzierung auf zwei bis drei Lernniveaus in einem Raum, immer noch die frühe Einteilung in Gymnasium und andere Schulformen. Das alles ist wissenschaftlich schon längst ad absurdum geführt worden, was hier aber niemanden interessiert. Die besten Ergebnisse im Vergleich haben Länder mit Schulen, in denen bis Klasse zehn alle zusammen lernen und dann erst das Gymnasium besuchen. Es gibt in keinem Bundesland einen Plan, der strukturiert, wirkungsvoll und ausreichend die Bedürfnisse von Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache berücksichtigt. Es ist eine Katastrophe, und ich erlebe täglich, wie demotivierend diese unzureichenden Zustände auf diese Schüler wirken. Nicht ohne Grund ist die Zahl der Schulabbrecher unter ihnen am größten. Auch wenn man ausgebildete Lehrer nicht »backen« kann, so könnte man personell das Dilemma verringern, indem man Geld für nicht lehrendes Unterstützungspersonal bereitstellt, das die Lehrer von nicht zu ihren Aufgaben gehörenden Tätigkeiten entlasten, z. B. Administratoren im IT-Bereich, technisches Personal für Kopien, Einrichtung, Wartung technischer Geräte, medizinische Unterstützung, sozialpädagogische Unterstützung, Verwaltungsaufgaben, ganz wichtig für Aufsichten, Begleitung auf Fahrten und Ausflügen, Aufbau von Experimenten. Das alles sah ich schon an einer Londoner Gesamtschule 2000.

Ilka Müller, Bremen

»Klima schlecht bekommen«

Zu jW vom 19.2.: »Westen weiß, wer’s war«

Keine Parallelen: Wir alle kennen Toussaint ­Louverture, der das Motto »Liberté, Égalité, Fraternité« nach Haiti tragen wollte. Er starb 1803, eingekerkert im Fort de Joux (Departement Doubs, Frankreich). Bei einer Führung dort (es heißt jetzt tourismusfördernd »Château de Joux«, als könnten Militärs Schlösser bauen) bekommt man erzählt: Nein, nein, nicht Napoleon hätte ihn umgebracht, ihm sei lediglich so hoch oben im Jura das Klima schlecht bekommen. Das ist an sonnigen Flecken im Sommer trocken und im Winter frisch. Ohne Obduktionsbericht will ich noch keine Parallelen zum Tod von Alexej Nawalny konstruieren. Noch nicht.

M. Faulhaber, per E-Mail

Inszenierung

Zu jW vom 19.2.: »Westen weiß, wer’s war«

Alexej Nawalny und seine Organisation »Fonds zur Bekämpfung der Korruption« bekamen jahrelang finanzielle und politische Unterstützung aus dem westlichen Ausland. Im europäischen Ausland forderte Nawalny persönlich im Jahr 2020 Sanktionen gegen russische Staats- und Medienvertreter. Er organisierte Kampagnen zum Denunzieren von Journalisten russischer Staatsmedien. Im Ausland wurde Nawalny als eine Ikone des Widerstands gegen die russische Staatsführung und folglich als erhofft chancenreicher Kandidat für das Amt als russischer Präsident angesehen.

Am 18. Februar fand die diesjährige sogenannte Sicherheitskonferenz (Siko) in München statt. Wie selbstverständlich dürfen Vertreter Russlands nicht teilnehmen. Wer möchte sich schon gern in die eigene Suppe spucken lassen? Nicht einmal inländische Vertreter der AfD und der BSW mit Sahra Wagenknecht dürfen teilnehmen. Statt ihrer, und Zufall oder nicht: Die Frau des am Tag zuvor verstorbenen »Regime«-Kritikers Nawalny befand sich im Hotel »Bayerischer Hof« und wartete auf das Signal des Konferenzleiters Christoph Heusgen, der ihr just in time die Bühne für einen weniger tränenreichen, statt dessen aber gegen Russland gerichteten hassgetränkten Auftritt überlassen hat.

Kleiner Zeitsprung nach hinten: Nachdem Wladimir Putin im Jahr 2007 seine Rede auf der »Siko« beendet hatte, schlug ihm blanker Hass entgegen. Er bediene einzig und allein die Sprache des Kalten Kriegs. Allerdings war nicht er es, sondern diejenigen, die, von imperialen Wünschen getrieben, die Rede Putins in ihrem Interesse richtig verstanden hatten. Die kleine Zeitreise nach vorne führte zum Maidan und zum vom Westen initiierten gesteuerten Krieg, der nicht nur kalt blieb.

In diesem sich erhitzenden »Spiel« wurde Nawalny die Hauptrolle in einer Inszenierung für eine neue Farbenrevolution zugedacht. Er nahm sie, als von Eitelkeit getriebener Schauspieler, dankbar an. Unterstützt von Hohepriestern des westlichen Werteregimes hielt er sich vergleichbar dem Nibelungen-Siegfried für unwiderstehlich und unbesiegbar.

Die Geduld der russischen Regierung wurde arg strapaziert; sie wurde von Nawalny und seinen Unterstützern aus dem Westen teils unter-, teils überschätzt. Es muss heißen: »Der Zweck heiligt das Mittel.« Dieses in der Person Nawalny: ein Märtyrer, ein Opfer, ein Täter? Greifen Sie zu.

Wer wirklich Mut gezeigt hat und sein Leben riskiert, das ist Julian Assange. Er hat in Worten und mit Bildern die Kriegsverbrechen der USA der Weltöffentlichkeit präsentiert. Er wusste, dass seine Enthüllungen ihn das Leben kosten könnten. Er nahm die Herausforderung an. Ein wahrer Held!

Hans Schoenefeldt, per E-Mail

»Zweierlei Maß«

Zu jW vom 19.2.: »Westen weiß, wer’s war«

Davon einmal abgesehen, dass auch Inhaftierten Grundrechte und ein menschenwürdiges Leben zustehen, bin ich wieder einmal irritiert darüber, dass zweierlei Maß gilt. Beim Tod von Nawalny heult die westliche »Wertegemeinschaft« unisono auf, ein Julian Assange dagegen darf ohne Medienspektakel getrost seinem Tod entgegensehen. Was für Heuchler in Politik und Medien.

Sabine Bessel, Hamburg

Die Ursachen des heutigen Lehrermangels gehen bis 1990 zurück, als man keine Lehrer einstellte und Schulen schloss, weil kurzzeitig die Schülerzahlen sanken.

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