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Aus: Ausgabe vom 22.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Sprachkritik

Schön blausen: Neue Wörter, die niemand braucht

Von Marc Hieronimus
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SPON-Kolumnist mit vier Buchstaben

Man klagt nicht genug über die Wortschöpfungen und Sinnverdrehungen der Werbeleute aus Kommerz und Politik, aber immerhin sind da noch Fachleute am Werk. Schlimm wird es, wenn Wortpräger ihre rhetorische Kompetenz überschätzen, wie der in der jW schon mehrfach zu Unehren gekommene Sascha Lobo (die Quaste mit »avers« und »Lumpenpazifist«). In dessen Rubrik in der inzwischen eingestellten »Studenten-Bravo« Neon fanden sich Begriffe wie »blausen« für Oralverkehr unter Alkoholeinfluss, »Armangst« für die Angst vor Armut oder »Brandenburgen«: Aus völlig anderen Gründen liebenswert sein, als man selbst glaubt. Das ist nicht nur nicht komisch, sondern auch unnötig: Keines der 698 in Buchform wiederholten Wörter (Lobo 2011) dürfte seither in den allgemeinen Sprachschatz eingegangen sein, ebensowenig wie die Einträge des »Wörterbuchs der Jugendsprache« (Langenscheidt, zuletzt 2019). Der Verlag wirbt: »Ein Buch für ›Bestis‹ (beste Freundinnen), die beim ›chinning‹ (Doppelkinnfoto-Challenge) mitmachen wollen und dabei ›ian‹ (krass) die ›lituation‹ (coole Situation) auskosten wollen. Erwachsenensprache ist einfach ›wack‹ (voll langweilig). Ehrenmann/-frau ist, wer sich das Buch reinzieht.«

Auch die Sprache der Wut- und Hassbürger hat in den letzten Jahren einiges Neues und Schlechtes wie »Verschwulung«, »linksversifft« (beide von Akif Pirinçci) oder »Umvolkung« hervorgebracht. Diese Wörter haben zumindest den Vorteil der Transparenz: Wer sie benutzt, ist zweifelsfrei ein strammer Rechter. Erstes und letztes zeigen übrigens die besondere Geschmeidigkeit der deutschen Sprache in der Wortbildung. Das betonte »um-« bedeutet meist einen Zustandswechsel (umschalten, umlernen); unbetontes »um-« bezeichnet fast immer eine Kreisbewegung (umgarnen, umarmen etc.). »Ver-« ist in der Regel eine Verschlechterung oder ein Verlust. Die Gegenbewegung ist meist »ent-«. So kann man, zumindest theoretisch, der Vermüllung und Verbräunung der Sprache mit Entmüllung und Entbräunung entgegenwirken. Faschos umvolken geht leider nicht.

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