Auf dem Marktplatz erstickt
Von Annuschka EckhardtGenau fünf Minuten und 50 Sekunden lag Ante P. bewusstlos und ohne zu atmen auf dem Marktplatz in Mannheim, von Polizisten bewacht. Zuvor hatte ein Polizist auf seinem Rücken gekniet. Dutzende Passanten filmten, machten die Beamten darauf aufmerksam. Als die Wiederbelebungsmaßnahmen endlich eingeleitet wurden, war es zu spät, Ante P. erstickte am 2. Mai 2022 an seinem eigenen Blut.
Seit Januar 2024 stehen vor dem Landgericht Mannheim zwei Polizisten wegen des tödlichen Polizeieinsatzes gegen P. vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Hauptangeklagten Körperverletzung im Amt mit Todesfolge vor und seinem Kollegen fahrlässige Tötung durch Unterlassen. Die Beamten hatten den 47jährigen damals mit Pfefferspray und Schlägen überwältigt, am Boden auf dem Bauch liegend festgehalten, mit Handschellen gefesselt und – laut Gutachten der Rechtsmedizin in Heidelberg – dabei erstickt, so die Solidaritätsgruppe »Initiative 2. Mai Mannheim«. Seinen Todeskampf bewerteten die angeklagten Polizisten als Widerstand gegen die Staatsgewalt.
An diesem Donnerstag findet in Mannheim der sechste Prozesstag statt, die Nebenklage und die Verteidigung werden ihre Plädoyers verlesen. Die Mutter und die Schwester von P. treten als Nebenklägerinnen auf. Die Staatsanwaltschaft fordert für den Hauptangeklagten sechs Monate auf Bewährung. Der andere Polizist soll freigesprochen werden, weil er P. auch mit Rettungsversuchen nicht hätte retten können. Bei Strafmaßen unter einem Jahr dürfen Polizisten im Dienst bleiben.
Der Prozess gegen die Polizisten kam laut der Sprecherin Sevda Can Arslan von der »Initiative 2. Mai« auch deshalb zustande, weil so viele Umstehende die Polizeigewalt mit dem Handy gefilmt und die Videos zur Aufklärung zur Verfügung gestellt hatten. P. litt seit seiner Jugend an einer psychischen Erkrankung und arbeitete in einer arbeitstherapeutischen Werkstatt. Am Tag der Tat hatte sein behandelnder Arzt die Polizei kontaktiert, da er besorgt war, dass P. sich selbst in Gefahr bringen könnte. Seine Familie kommt aus Jugoslawien, er hatte einen kroatischen und einen deutschen Pass. Das zeigt: Migrantisch gelesene Menschen, Menschen mit psychischen Erkrankungen und arme Menschen sind besonders von Polizeigewalt bedroht.
»Eine Strategie der Verteidigung vor Gericht war die der Täter-Opfer-Umkehr in bezug auf die Zeugen. Die Augenzeugen wurden von der Verteidigung als aggressive Schaulustige diffamiert«, sagte Can Arslan am Mittwoch gegenüber junge Welt. »Der Staatsanwalt ist diesem Narrativ gefolgt und hat behauptet, dass ein zurückhaltenderes Verhalten der Passanten unter Umständen geholfen hätte, damit die in Panik geratenen Polizeibeamten sich besser um Ante P. hätten kümmern können«, so die perfide Logik der Polizistenverteidiger.
Das Gutachten der Rechtsmediziner besagt sinngemäß: nicht natürlicher Tod infolge des Polizeieinsatzes, lage- und fixationsbedingte Atembehinderung mit darauf folgender Stoffwechselentgleisung in Kombination mit einem Ersticken durch eine Blutung in die oberen Atemwege. Das Herz sei zwar vorgeschädigt gewesen, was aber nicht die primäre Todesursache gewesen sei.
Die Verteidigung habe die Augenzeugen quasi für den Tod von P. mitverantwortlich gemacht, kritisierte Can Arslan. Diese hätten jedoch »versucht, die Polizei davon abzuhalten, den Mann zu schlagen. Ein Zeuge hat gesagt, er atmet nicht mehr«. Erst daraufhin hätte der Arzt mit der Wiederbelebung angefangen.
Während die Angehörigen bis heute vergeblich auf finanzielle Unterstützung durch einen Opferfonds oder ähnliches warten, wurden die beiden Polizisten von der Berufsvereinigung »Gewerkschaft der Polizei« (GdP) tatkräftig unterstützt.
P. ist kein Einzelfall: Am 23. Dezember 2023 starb in Mannheim Ertekin Özkan durch Polizeikugeln, am 10. Mai 2022 starb ein selbstmordgefährdeter Mann, nachdem ein Polizist ihm in den Oberschenkel geschossen hatte. Das Urteil im Fall Ante P. wird am 1. März erwartet.
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