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Aus: Ausgabe vom 22.02.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Konflikt um Rohstoffe

Gefährliche Nachbarschaft

DR Kongo: Ruanda befeuert Konflikt in Provinz Nordkivu. USA gehen vorsichtig zu Kigali auf Distanz
Von Pablo Flock
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Demonstranten feiern den Kämpfer einer Miliz, die sich den von Ruanda unterstützten M23 entgegenstellt (Goma, 19.2.2024)

Die Lage im Osten der Demokratischen Republik (DR) Kongo bleibt kritisch. Mehr als 100.000 Menschen sind aus der mittlerweile eingenommenen Stadt Sake nach Goma geflohen. Die Hauptstadt der Provinz Nordkivu ist von der Rebellentruppe »M23« umzingelt, die berüchtigt ist für Übergriffe auf die Bevölkerung, Massaker und Vergewaltigungen sowie für die Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten. In der an Ruanda angrenzenden Region gibt es große Vorkommen von Gold und Coltan, über 100 bewaffnete Gruppen finanzieren sich aus dem Schmuggel.

Die UNO hat Ruanda und Uganda schon mehrfach beschuldigt, den Bürgerkrieg im Osten der DR Kongo zu befeuern und durch Rohstoffraub von ihm zu profitieren. Vergangenen Sonnabend verurteilten aber selbst die USA, eigentlich ein Verbündeter Ruandas, selten deutlich die Unterstützung der »M23« und forderten Kigali auf, unverzüglich alle Soldaten sowie Luftabwehrsysteme aus der DR Kongo abzuziehen. Diese bedrohten Zivilisten, UN-Mitarbeiter und andere internationale Einsatzkräfte.

Ruanda lehnte die Aufforderung der USA zum Rückzug ab. Nachdem Kigali früher jede Verbindung zu den »M23« geleugnet hatte, scheint die Regierung Paul Kagames neuerdings sogar die Anwesenheit eigener Truppen in der DR Kongo nicht mehr bestreiten, sondern legitimieren zu wollen. Sie verteidigten ruandisches Territorium im Angesicht einer »dramatischen Militärmassierung«. Genauer werde die nationale Sicherheit durch eine Gruppe bedroht, die mittlerweile »vollständig in die kongolesische Armee integriert« sei. Dabei handelt es sich um die mehrheitlich aus Angehörigen der Bevölkerungsgruppe der Hutu bestehende Miliz Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR). Sogenannte Hutu-Extremisten waren 1994 verantwortlich für den Genozid an den Tutsi in Ruanda. Viele Täter entkamen nach dem Sieg von Kagame in den Osten der DR Kongo und bauten dort unter anderem die FDLR auf.

Über die Frage, was die USA dazu bewog, einen strengeren Ton gegenüber Ruanda anzuschlagen, kann man nur spekulieren. Einerseits hat Ruanda die völkerrechtliche Etikette mit der Entsendung eigener Truppen und besonders schweren Geräts in den Osten der DR Kongo eindeutig überschritten. Zu mindestens einem Flugabwehrsystem auf kongolesischen Boden kommt eine Drohne, die am Sonnabend auf dem internationalen Flughafen in Goma einschlug, einen Kampfjet zwar verfehlte, jedoch zivile Flugzeuge zerstörte, und laut kongolesischer Armee von ruandischem Boden gestartet sein soll.

Andererseits könnten auch die jüngsten Proteste von Kongolesen vor der französischen und britischen Botschaft in Kinshasa sowie vor dem dortigen UN-Büro einen gewissen Druck bewirkt haben, sich von Kigali zu distanzieren. Immerhin wies hernach im Gegensatz zu ähnlichen Demonstrationen in anderen afrikanischen Ländern kein Finger auf Russland wegen angeblicher Desinformation. Auch ließ die Regierung die Demonstranten anders als bei den Protesten der Opposition wegen der letzten Wahlen im Dezember gewähren, wohl in der Hoffnung, dass genau das passiere: Westliche Länder richten ihr Augenmerk auf die Krise im Osten des Landes und üben Druck auf Ruanda aus. Denn, wie Kristof Titeca, Professor für internationale Entwicklung der Universität Antwerpen, erst am Montag auf der Webseite The Conversation schrieb: Es ist »bemerkenswert, wie still die internationale Gemeinschaft gegenüber Ruanda bleibt«, obwohl die Unterstützung Kigalis für die schlimmer Menschenrechtsverletzungen bezichtigte »M23« seit langem bekannt und durch die UNO dokumentiert ist.

Doch Proteste gegen Ruanda, die »M23« und die klammheimliche auswärtige Unterstützung Kigalis zeigen nicht immer Auswege auf. So bewirkten wiederkehrende Demonstrationen gegen die Monusco, dass der kongolesische Präsident Félix Tshisekedi die UNO im vergangenen Jahr aufforderte, die »Blauhelm«-Truppe nach 25 Jahren Dienst bis April 2024 abzuziehen. Die Demonstrierenden beklagten ähnlich wie in Mali, dass die Monusco Zivilisten nicht ausreichend schütze und zahnlos sei. Der Hashtag »Monuseless« trendete. Doch die Monusco verfügt nach wie vor über ein »robusteres« Mandat als die mittlerweile abgezogene UN-Truppe Minusma in Mali und hat schon mehrfach ein Vorrücken der »M23« verhindert.

Nun soll eine andere internationale Eingreiftruppe es besser machen. Im Rahmen eines Einsatzes der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC) werden seit Dezember 2023 Truppen aus Südafrika, Malawi und Tansania in der Provinz Nordkivu stationiert, um dort die »M23« zu bekämpfen. Eine andere Mission der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC), der neben der DR Kongo auch Ruanda angehört, war im Dezember von Kinshasa beendet worden, weil ihr defensives Mandat nicht weiterhelfe. Kurz nachdem Südafrika in der vergangenen Woche angekündigt hatte, 2.900 weitere Soldaten zu entsenden, waren schon die ersten beiden Gefallenen zu beklagen.

Derweil beschwerte sich Ruandas Außenminister in einem Brief an den UN-Sicherheitsrat, dass der Konflikt eskalieren könne, wenn die Reste der Monusco nun an der Seite der SADC-Mission offensiver vorzugehen beabsichtigen – Kinshasa wolle den Konflikt offensichtlich lieber militärisch als diplomatisch lösen. Doch ein Treffen im Rahmen des von Angola geleiteten Friedensprozesses von Luanda während des Gipfeltreffens der Afrikanischen Union am vergangenen Wochenende in Addis Abeba blieb erfolglos, genauso wie eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats am 20. Februar.

Das arme reiche Land

Im Gegensatz zu den Sahelstaaten der nördlichen Hälfte Afrikas ist der Kongo mit einer reichen Natur gesegnet. Der Regenwald im Kongobecken ist der weltweit zweitgrößte nach dem Amazonas, und der Kongofluss ist – gemessen am Volumen – ebenso weltweit nur dem Amazonas unterlegen. Gold und Diamanten sind in der Demokratischen Republik (DR) Kongo wie in vielen Ländern Afrikas zu finden, aber auch für Elektrotechnik und Energiewende wichtige Erze wie Kobalt und Coltan sowie seltene Erden gibt es im Kongo wie in keinem anderen Land der Erde. Trotzdem, oder genau deswegen, war dem Land seit Jahrzehnten kein dauerhafter Frieden vergönnt. Direkt nach der Unabhängigkeit unter dem antikolonialen Revolutionär Patrice Lumumba rief die den Belgiern und der USA nahestehende Provinzregierung der rohstoffreichen Region Katanga die Unabhängigkeit aus. Das antikoloniale Lager unterlag in dem Konflikt, Lumumba wurde in Zusammenarbeit mit dem belgischen Geheimdienst und der CIA ermordet. Mobutu Sese Seko errichtete ab 1965 eine westlich gestützte Diktatur im in Zaire umbenannten Kongo. Während sich das Land nach Mobutus Sturz 1997 formell in eine Demokratie verwandelte, änderte sich wenig an der Gewalt und der Armut, unter der die Menschen dort leben. Coltan ist nach Kupfer das wichtigste Exportprodukt der DR Kongo. 80 Prozent der weltweiten Reserven werden in dem Land vermutet. Aus dem abgebauten Koltanerz wird in Europa und Asien das Metall Tantal gewonnen, das unentbehrlich für die Batterieproduktion ist und dessen drittgrößter Exporteur nach der DR Kongo und Brasilien das Nachbarland Ruanda ist, wobei die UN nachwies und allgemein bekannt ist, dass es diese Stelle auch durch die Ausbeutung der Vorkommen und den Schmuggel in der Provinz Nordkivu im Osten der DR Kongo einnimmt. Das Mineral wird meist durch Handarbeit unter Zwang und gesundheitsschädlichen Bedingungen zu einem Lohn von rund einem Euro am Tag abgebaut.(pf)

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