junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 11. / 12. Mai 2024, Nr. 109
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 20.02.2024, Seite 6 / Ausland
Konflikt in Osteuropa

Faschisten auf dem Rückzug

Ukraine: Entsendung von Neonazitruppe hat russische Einnahme Awdijiwkas nicht verhindert
Von Susann Witt-Stahl
6.JPG
»Kämpfen in der dritten Sturmbrigade«: Werbung für Faschistentruppe in Kiew (18.1.2024)

Die ganz große Schlacht in der nördlich von Donezk gelegenen Kleinstadt ist ausgeblieben. »Angesichts der operativen Lage um Awdijiwka« hat der neue Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, Alexander Sirskij, am Sonnabend den Rückzug beschlossen. Vorher hatte die deutsche Presse sich schon in schwülstiger Untergangsästhetik gesuhlt, die »Awdijiwka-Hölle« (Tagesspiegel) und den »Russenkessel« (Welt) als nächstes Stalingrad ausgemacht und der dorthin entsandten 3. Sturmbrigade als Retter in der Not gehuldigt. Was in den Namen einiger ihrer Züge, »Wolfsrudel« und »Galizien«, anklingt, aber fast einhellig verschwiegen wurde: Diese »Eliteeinheit« ist eine Neonazitruppe.

Die »3. separate Sturmbrigade« wurde im März 2022 – zunächst als Regiment der Territorialverteidigungskräfte – aufgestellt, nachdem Angehörige der »Asow«-Bewegung und Veteranen von deren Kampfeinheit in der Nationalgarde, die damals in Mariupol vor der Einkreisung stand, sich neu formiert hatten. Die frischen Kräfte, die sich in Kiew, Sumi und Charkiw sammelten, wurden in die Spezialeinsatzkommandos der Armee integriert, schließlich zur Brigade aufgebaut, als mobile Truppe ausgebildet und ausgerüstet, um eigenständig Operationen durchführen zu können.

Die 3. Sturmbrigade war an den meisten Brennpunkten des Krieges, etwa in Butscha, Irpin, Saporischschja, Cherson und Bachmut im Einsatz. Mittlerweile verfügt sie über US-amerikanische M2-»Bradley«-Kampffahrzeuge, Browning-M2-Maschinengewehre und andere Waffen aus dem Westen. Im Dezember hatte sie sich nach Kramatorsk zu Übungen zurückgezogen. Als sich die Lage in Awdijiwka dramatisch verschärfte, ging es wieder an die Front.

Die vielfach verbreitete Behauptung des Establishments von Medien und Denkfabriken in den NATO-Ländern, die »Asow«-Kampfverbände seien mit der Eingliederung in die regulären ukrainischen Streitkräfte »entnazifiziert« worden, wird durch Fakten widerlegt: Gründer der 3. Sturmbrigade und Kommandeur ihrer »Taktischen Einheit A« ist Andrij Bilezkij, einer der mächtigsten Faschisten des Landes und Architekt des im März 2022 verabschiedeten »Antikollaborationsgesetzes«, mit dem praktisch jeder Kontakt nach Russland kriminalisiert werden kann. Er ist auch Verfasser des Grundsatzprogramms der nazistischen Organisation »Patriot der Ukraine« von 2008, in dem er, wie schon die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) in den 1940er Jahren, für eine »rassisch gesäuberte« Nation auf dem »Fundament des Blutes« warb.

»Die Führer der OUN Stepan Bandera, Roman Schuchewitsch, Jewgen Konowalez, Andrij Melnik und andere haben klar verstanden, dass wir für den Willen der Ukraine kämpfen müssen«, verkündete Bilezkij 2023 zum offiziellen 81. Jahrestag der Gründung der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), die als bewaffneter Arm der OUN am Holocaust beteiligt war. Ähnlich äußerte sich der in diesen Tagen von der westlichen Presse häufig zitierte Vizekommandeur der 3. Sturmbrigade, Maxim Schorin, ehemaliger Leiter der Zentrale der »Asow«-Partei »Nationales Korps«, die 2019 den Widerstand gegen die Umsetzung des Minsk-II-Abkommens mitorganisierte: »Die Streitkräfte der Ukraine haben ihr ideologisches Erbe von der OUN«, erklärte er am 3. Februar 2024 zu deren 95. Geburtstag und forderte, den »Tod der großen Ritter zu rächen und das von früheren Generationen begonnene Werk zu vollenden«.

Auch auf ihrer Homepage und ihren Social-Media-Kanälen betont die 3. Sturmbrigade nicht nur, dass sie nach wie vor »dieselben Prinzipien« wie die »ganze ›Asow‹-Bewegung« habe, sondern ihr Vorbild Stepan Bandera sei: »In seinem Namen ließen sich moderne Generationen von Nationalisten inspirieren, und sein Bild versetzt heute 146 Millionen Menschen (in Russland, jW) in Angst und Schrecken«, heißt es auf dem Telegram-Kanal der Einheit über den Hitler-Kollaborateur und Vernichtungsantisemiten.

Und so feiern Krieger der 3. Sturmbrigade – in einem pathetischen Video, das bereits einen Tag nach seiner Veröffentlichung 1,5 Millionen Zuschauer hatte – die hohen Verluste des Feindes, beschwören »den süßen Tod« auf dem Schlachtfeld und skandieren: »Ukraine über alles!«

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

  • Leserbrief von B. S. aus Ammerland (19. Februar 2024 um 23:35 Uhr)
    Ist es nicht perfide, an der »Heimatfront« lauthals gegen die »Braunau-Jünger der AFD« zu wettern, Menschen auf die Straßen abzukommandieren, wie weiland die SED es befahl? Na gut, wird man denken, es wird doch gegen die Nazis protestiert. Ein bisschen schon, aber Scholz, Baerbock, von der Leyen verkaufen die Deutsche Gesellschaft wie immer für blöd. Diese »Extrem -Demokraten« holen den Faschismus nach Deutschland, nach Westeuropa. Und das Schlimme: weite Teile der Bevölkerung nehmen es ihnen auch ab. »Den Teufel mit Beelzebub austreiben« – lieber Olaf, dass nenne ich eine wirkliche Zeitenwende!

Ähnliche:

Mehr aus: Ausland