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Aus: Ausgabe vom 20.02.2024, Seite 4 / Inland
EU-Kommission

Union für Ursula

EU-Kommissionspräsidentin will zweite Amtszeit: CDU-Bundesvorstand schlägt von der Leyen als EVP-Spitzenkandidatin vor
Von Kristian Stemmler
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Wegweisend? EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und CDU-Parteichef Friedrich Merz am Montag in Berlin

Ursula von der Leyen (CDU) lieferte offenbar, was von ihr erwartet wurde. Am Montag hatte die 65jährige EU-Kommissionspräsidentin offiziell verkündet, was die Spatzen schon von den Dächern pfiffen: Die CDU-Politikerin strebt eine zweite Amtszeit an der Spitze der Europäischen Union an. Dies erklärte von der Leyen bei einer Pressekonferenz nach einer Sitzung des CDU-Bundesvorstandes. Parteichef Friedrich Merz sagte, das Gremium habe sie einstimmig als Spitzenkandidatin der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) für das Amt vorgeschlagen. Am Wochenende war bereits publik geworden, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) persönlich verhindert habe, dass von der Leyen NATO-Generalsekretärin werde, unter anderem weil sie »zu kritisch gegenüber Moskau« sei.

Merz hob es als Verdienst von der Leyens hervor, dass die EU in den »schwierigen Jahren« der Coronapandemie zusammengeblieben sei. Seine Parteikollegin habe eine hohe Reputation in den Mitgliedstaaten und weit darüber hinaus. Auch CSU-Chef Markus Söder unterstützte eine zweite Amtszeit von der Leyens. Sie sei »als Kommissionspräsidentin die natürliche Spitzenkandidatin für die Union bei der Europawahl«, schrieb Söder beim Kurznachrichtendienst X (früher Twitter).

Von der Leyen sagte, die Kommission habe in den fünf zurückliegenden Jahren »mehr geschafft, als wir uns je vorstellen konnten«. So habe die EU das Virus SARS-CoV-2 »gemeinsam besiegt«, den »Binnenmarkt zusammengehalten« und nachdem »Russland die Ukraine überfallen hat, von Tag eins an fest an der Seite der Ukraine gestanden«. Wie zum Beweis dieser Festigkeit erklärten von der Leyen und Merz, dass sie von einer gezielten Ermordung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny ausgehen, dessen Tod in russischer Haft vergangene Woche bekannt geworden war. Der russische Präsident Wladimir Putin habe mit dem Tod Nawalnys versucht, bei der Münchner »Sicherheitskonferenz« am Wochenende seine Botschaft zu plazieren, sagte von der Leyen. Das zeige die Rücksichtslosigkeit und Perfidie Putins, für den »wirklich kein Menschenleben« etwas zähle.

Unzufrieden mit von der Leyen zeigte sich dagegen die FDP-Chefbellizistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Spitzenkandidatin der Liberalen für die EU-Wahl. Sie warf der Kommissionspräsidentin am Montag im Sender N-TV vor, sich zu wenig um das Thema »Verteidigungspolitik« gekümmert zu haben. Es brauche einen eigens dafür zuständigen EU-Kommissionsposten. Die Forderung der FDP nach einem fürs Militärische zuständigen EU-Kommissariat hatte von der Leyen tatsächlich am Wochenende bereits unterstützt. Die Bundesregierung zeigte sich nun weniger begeistert. Regierungssprecher Steffen Hebestreit äußerte am Montag eine »gewisse Skepsis«. Zunächst müssten die Aufgaben eines europäischen Verteidigungskommissars geklärt sein, »dann kann man sich einer solchen Frage genauer widmen«.

EU-Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grüne störten sich derweil daran, dass von der Leyen gar nicht bei den EU-Wahlen antritt. Daniel Freund erklärte, die CDU-Politikern sei 2019 von den Regierungschefs zur Kommissionspräsidentin gemacht worden. So solle es jetzt offenbar wieder laufen. Mit ihrer Weigerung, für das Parlament zu kandidieren, schade von der Leyen der europäischen Demokratie.

Auch die Linkspartei übte Kritik an der CDU-Politikerin: Die Bilanz der Kommissionspräsidentin sei »desaströs«, sagte Parteichef Martin Schirdewan am Montag in Berlin. Unter ihrer Präsidentschaft habe sich die soziale Spaltung der EU vertieft. Die Politik von der Leyens habe »Millionen Menschen in Armut gestürzt« und Energie- und Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben.

Ob die frühere Bundesverteidigungs-, davor Arbeits- und wiederum davor Familienministerin tatsächlich Kandidatin der EVP für den Vorsitz der EU-Kommission wird, soll ein Kongress der EVP am 6. und 7. März in Bukarest entscheiden. Es gilt jedoch als sicher, dass von der Leyen die notwendige Stimmenmehrheit erhalten wird. Über die Besetzung der Kommissionsführung und anderer EU-Spitzenposten entscheiden nach der EU-Wahl im Juni die europäischen Staats- und Regierungschefs.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (20. Februar 2024 um 11:39 Uhr)
    Die »Gefälligkeitpräsidentin«: Das Spitzenkandidatenprinzip scheint Geschichte zu sein, stattdessen: es lebe die Spitzenkandidatin, unsere EU-Uschi, so meint mindestens voll Demokrat CDU-Merz! Die Pläne von Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin stoßen auf scharfe Kritik. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert bezeichnet die Kandidatur als schizophren, um es noch zurückhaltend auszudrücken. Normalerweise sollte der Kandidat der europäischen Parteienfamilie, die bei der Europawahl am besten abschneidet, ernannt werden. Es wirkt irritierend und undemokratisch, dass von der Leyen auf keinem Wahlzettel zu finden sein wird. Von der Leyen hat während ihrer Amtszeit politische Beziehungen zu Staats- und Regierungschefs sowie im Europäischen Parlament aufgebaut und beabsichtigt, diese Verbindungen zu nutzen, um sich eine zweite Amtszeit zu sichern. Ihre Nominierung als Kommissionspräsidentin erfolgte durch die Regierungschefs, und sie strebt an, dass es wieder so gehandhabt wird. Sie scheint, als eine »Gefälligkeitspräsidentin« dienen zu wollen und erneut ihren Posten auf diese Weise zu sichern. Dies stellt eine Schande für die demokratischen Prinzipien dar, die bei Wahlen gelten sollten.

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