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Aus: Ausgabe vom 19.02.2024, Seite 7 / Ausland
Alexej Nawalny

Westen weiß, wer’s war

Tod von Alexej Nawalny: Beifall für Witwe bei »Sicherheitskonferenz«. Kollektive Vorwürfe Richtung Moskau – ohne Beweise
Von Reinhard Lauterbach
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Im Schoß des Westens willkommen: Julija Nawalnaja lässt sich am Freitag in München von Außenministerin Baerbock trösten

Nach dem Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny in einem nordrussischen Straflager will der kollektive Westen den Vorgang maximal ausnutzen. Der britische Außenminister David Cameron sagte dem Fernsehsender Sky News, es »sollte Konsequenzen geben«, wenn solche entsetzlichen Menschenrechtsverletzungen stattfänden. Großbritannien prüfe, ob einzelne Personen dafür verantwortlich seien und ob individuelle Maßnahmen ergriffen werden könnten. Das Königreich werde darüber mit seinen Partnern beraten.

Allerdings gibt es offenbar Schwierigkeiten mit der praktischen Durchsetzung solcher »Konsequenzen«. Alle bisherigen Sanktionen haben keine abschreckenden Wirkungen gehabt. Eine andere ist, dass China den Tod Nawalnys als innere Angelegenheit Russlands eingestuft hat. Entsprechend erklärte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, die beste Weise, Nawalnys Andenken zu ehren, bestehe darin, weiter die Ukraine militärisch und politisch zu unterstützen und auch die von China ausgehenden Gefahren nicht aus dem Blick zu verlieren. Witwe Julija Nawalnaya erhielt auf der Konferenz – zu der sie noch zu Lebzeiten ihres Mannes eingeladen worden war – Standing Ovations für ihre Forderung, Wladimir Putin persönlich für den Tod ihres Mannes zur Verantwortung zu ziehen. Die Außenminister der G7-Staaten forderten die russischen Behörden auf, die Todesumstände vollständig aufzuklären.

Der Tod Nawalnys wurde inzwischen auch von seinem Anwalt und seiner Mutter bestätigt. Beide waren in die Stadt Charp im Nordural gereist, wo sich das Straflager befindet. Die Leiche Nawalnys wurde ihnen aber nicht gezeigt; das zuständige Leichenschauhaus in der Bezirksstadt Salechard war über das Wochenende geschlossen und kein Mitarbeiter erreichbar.

In Russland gab es am Wochenende in über 30 Städten Gedenkveranstaltungen für den Verstorbenen. Leute legten Blumen vor seinem Bild nieder. Das Internetportal OVD-Info sprach am Sonnabend von 401 Verhaftungen in 36 Städten zwischen St. Petersburg und Jakutsk. Zu den Teilnehmerzahlen der Demonstrationen machte die Seite keine Angaben. In einer Erklärung der Redaktion hieß es, es habe wahrscheinlich keinen direkten Mord an Nawalny gegeben, aber die extrem schweren Haftbedingungen hätten ausgereicht, seine Gesundheit zu ruinieren. Er habe in den 37 Monaten seiner Inhaftierung 296 Tage – also knapp zehn Monate – in Isolationshaft oder im Karzer verbracht. »Es reichte, zu warten.«

Weiter ging der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang. Er erklärte im Sender Welt, die Tötung politischer Widersacher gehöre zum Repertoire russischer Geheimdienste; man kenne zwar die genauen Todesumstände Nawalnys noch nicht, aber es falle schwer, im Zusammenhang mit der Münchener »Sicherheitskonferenz« an einen Zufall zu glauben.

Alexej Nawalny hatte sich nach einem Stipendienprogramm für »Nachwuchsführungskräfte« in den USA seit etwa 2011 mit der Organisation von Protesten gegen mutmaßliche Wahlfälschung und Korruption in der russischen Führung einen Namen gemacht und galt zuletzt als führender Oppositioneller gegenüber Putin. 2018 hatte er bei der Bürgermeisterwahl in Moskau mit 27 Prozent einen Achtungserfolg erzielt. 2020 zeigte er auf einem Flug innerhalb Russlands Vergiftungssymptome und wurde zur Behandlung nach Deutschland ausgeflogen. Dort stellte er seine letzte Videodokumentation fertig, in der er Putin vorwarf, er habe sich in einem Naturschutzgebiet an der Schwarzmeerküste einen Palast bauen lassen. Bei Nachrecherchen zeigte sich allerdings, dass es sich bei den gezeigten luxuriösen Innenräumen um mit Innenarchitektensoftware hergestellte Fakes gehandelt haben muss; das russische Fernsehen zeigte unverputzte Säle anstatt der vergoldeten Säulen, bestätigte aber dadurch indirekt, dass es ein Bauprojekt für dieses Objekt zumindest zu diesem Zeitpunkt gab. Anfang 2021 war Nawalny nach Russland zurückgekehrt und sofort festgenommen worden. Er verbüßte eine für insgesamt 19 Jahre angedachte Haftstrafe. Sympathisanten der russischen Opposition bedauerten den Tod ihrer zentralen Führungspersönlichkeit.

Der Nachruf »Ein Querfront­agitator« ist auf jungewelt.de zu finden

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (21. Februar 2024 um 20:37 Uhr)
    Ich schließe mich Herrn Haldenwang an: Das Ableben des Herrn Nawalny ausgerechnet während der SiKo dürfte ähnlich wenig zufällig wie das Ausgasen der Nordstream-Röhren herbeigeführt worden sein. Und die Tötung politischer Widersacher gehört zum Repertoire aller Geheimdienste, schließlich haben die Lizenz zum Töten. Wieder einmal dürfte die Frage »wem nützt es?« interessante Antwortmöglichkeiten liefern.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (19. Februar 2024 um 21:25 Uhr)
    Da ist sie wieder, die Russophrenie. Einerseits weiß man sowieso, dass es der Putin höchstpersönlichstens war und dass in Russland juristische Anarchie herrscht. Andererseits fordert man von den Behörden dieses »Unrechtsstaats«, dieser »als Land getarnten Tankstelle« (J. McCain), die Aufklärung, die diese dann ganz sicher höchst ehrlichstestens durchführen werden, um ihren obersten Diktator einzukerkern. Jedes andere Ergebnis wird nur die Ausgangsthese der Perfidistigstkeit des Herrn Hitl… , äh Putin, Putin(!) bestätigen. Verschwörungsschwätzer stellen die Ohren auf, halten den Kopf schief und sich rechtliche Schritte wegen geistigen Diebstahls vor. Wäre ich religiös, würde ich den Herrn um einen Hirnregen anflehen. *facepalm* Das Timing von Gevatter Tod ist auch mal wieder höchstpünklichst; fast möchte man meinen, wie auf Bestellung. Schon merkwürdig…
  • Leserbrief von Hans Schoenefeldt (19. Februar 2024 um 17:24 Uhr)
    Alexei Nawalny und seine Organisation »Fonds zur Bekämpfung der Korruption« bekamen jahrelang finanzielle und politische Unterstützung aus dem westlichen Ausland. Im europäischen Ausland forderte Nawalny persönlich im Jahr 2020 Sanktionen gegen russische Staats- und Medienvertreter. Er organisierte Kampagnen zum Denunzieren von Journalisten russischer Staatsmedien. Im Ausland wurde Nawalny als eine Ikone des Widerstands gegen die russische Staatsführung und folglich als erhofft chancenreicher Kandidat für das Amt als russischer Präsident angesehen.
    Am 18. Februar, fand die diesjährige Sicherheitskonferenz (genauer: Kriegskonferenz, also nicht Siko, sondern Kriko) in München statt. Wie selbstverständlich dürfen Vertreter Russlands nicht teilnehmen. Wer möchte sich schon gern in die eigene Suppe spucken lassen? Nicht einmal inländische Vertreter der AfD und der BSW mit Sahra Wagenknecht dürfen teilnehmen. Statt ihrer und Zufall oder nicht: die Frau des am Tag zuvor verstorbenen »Regime«-Kritikers Nawalny befand sich im Hotel im Bayerischen Hof und wartete auf das Signal des Konferenzleiters Christoph Heusgen, der ihr Just-in-time die Bühne für einen weniger tränenreichen, stattdessen aber einen gegen Russland gerichteten hassgetränkten Auftritt überlassen hat.
    Kleiner Zeitsprung nach hinten: Nachdem Wladimir Putin, im Jahr 2007 seine Rede auf der Siko/Kriko beendet hatte, schlug ihm blanker Hass entgegen. Er bediene einzig und allein die Sprache des Kalten Kriegs. Allerdings war nicht er es, sondern diejenigen, die von imperialen Wünschen getrieben, die Rede Putins in ihrem Interesse richtig verstanden haben. Die kleine Zeitreise nach vorne führten zum Maidan und zum vom Westen initiierten gesteuerten Krieg, der nicht nur kalt blieb.
    In diesem sich erhitzenden »Spiel« wurde Nawalny die Hauptrolle in einer Inszenierung für eine neue Farbenrevolution zugedacht. Er nahm sie, als von Eitelkeit getriebener Schauspieler, dankbar an. Unterstützt von Hohepriestern des westlichen Werteregimes hielt er sich vergleichbar dem Nibelungen-Siegfried für unwiderstehlich und unbesiegbar.
    Die Geduld der russischen Regierung wurde arg strapaziert; sie wurde von Nawalny und seinen Unterstützern aus dem Westen teils unter-, teils überschätzt. In Abwandlung der bekannten Redewendung muss es hier heißen: »Der Zweck heiligt das Mittel.« Dieses in der Person Nawalny: ein Märtyrer, ein Opfer, ein Täter? Greifen Sie zu.
    Wer wirklich Mut gezeigt hat und sein Leben riskiert, das ist Julian Assange. Er hat in Worten und mit Bildern die Kriegsverbrechen der USA der Weltöffentlichkeit präsentiert. Er wusste, dass seine Enthüllungen ihm das Leben kosten würde. Er nahm die Herausforderung an. Ein wahrer Held!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Sabine B. aus Hamburg (19. Februar 2024 um 11:49 Uhr)
    Davon einmal abgesehen, dass auch Inhaftierten Grundrechte und ein menschenwürdiges Leben zustehen, bin ich wieder einmal irritiert darüber, dass zweierlei Maß gilt. Beim Tod von Nawalny heult die westliche »Wertegemeinschaft« unisono auf, ein Julian Assange dagegen darf ohne Medienspektakel getrost seinem Tod entgegensehen. Was für Heuchler in Politik und Medien. Sabine B.
    • Leserbrief von Holm P. aus Köthen (19. Februar 2024 um 15:35 Uhr)
      Nicht zu vergessen: der Fall Gonzalo Lira, der in einem ukrainischen Gefängnis verstarb.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (19. Februar 2024 um 10:06 Uhr)
    Die Bildunterschrift erfüllt das Klischee vom »herzlosen Bolschewisten« – in dieser Art und Weise macht sich die jW zum Erfüllungsgehilfen des Klassenfeindes! Nawalnys Ehefrau trauert – wie kann man das nicht verstehen wollen?
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (19. Februar 2024 um 21:04 Uhr)
      Sie trauert aber höchst öffentlich und noch dazu bei dieser offensichtlich Foto-Op für die Baerbockige. Was hat sie überhaupt dort zu suchen, außer für Propagandazwecke ihr Gesicht in die Kamera zu halten? Tut mir leid, wer selbst den Tod des eigenen Ehemannes so ausschlachtet, hat mein Mitleid nicht verdient.
  • Leserbrief von M. Faulhaber (19. Februar 2024 um 08:35 Uhr)
    Keine Parallelen: Wir alle kennen Toussaint Louverture, der das Motto »Liberté, Égalité, Fraternité« nach Haiti tragen wollte. Er starb 1803 eingekerkert im Fort de Joux (Departement Doubs, Frankreich). Bei einer Führung dort (es heißt jetzt Tourismus-fördernd »Château de Joux«, als könnten Militärs Schlösser bauen) bekommt man erzählt, nein-nein, nicht Napoleon hätte ihn umgebracht, ihm hätte lediglich so hoch oben im Jura das Klima schlecht bekommen. Das ist an sonnigen Flecken im Sommer trocken und im Winter frisch. Ohne Obduktionsbericht will ich noch keine Parallelen zum Tod von Alexej Nawalny konstruieren. Noch nicht.
  • Leserbrief von Frank Lukaszewski aus Oberhausen (19. Februar 2024 um 07:58 Uhr)
    Nun starb, vermutlich nicht freiwillig, der Rassist und Empfänger umfangreicher Gelder sowie propagandistischer Hilfen seitens interessierter Akteure des sogenannten demokratischen Westens, Nawalny. Aufklärung bedarf es. Der juristische Umgang mit ihm in der Russischen Föderation kann sicherlich als fragwürdig bezeichnet werden. Was ist allerdings in den sich moralisch entrüstend zeigenden »Freiheitsmedien« des Westens über das Schicksal von Julian Assange an prominenter Stelle vernehmbar? Es steht ein Termin des Wikileaks-Gründers vor dem Londoner High Court am 21. Febaruar 2024 im Vereinigten Königreich an, worüber Ihre Zeitung dankenswerterweise berichtet. Die bedingte Pressefreiheit steht im Westen wie noch nie auf dem Spiel. Assange droht Abschiebung in das Mutterland der Freiheit, USA. Jene käme einem faktischen, langsamen Todesurteil gleich. Wer gedenkt, sich darüber zu echauffieren? Aus Regierungskreisen der BRD vernimmt man dahingehend – im Gegensatz zum Fall Nawalny – lautes Schweigen. Bezeichnet man das gemeinhin nicht als Scheinheiligkeit?
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (18. Februar 2024 um 22:21 Uhr)
    Irgendwie scheint man im Wertewesten offensichtlich über hellseherische Kräfte zu verfügen, anders lässt sich die eilfertig-einseitige Schuldzuweisung nicht erklären. Und wie günstig ist es doch, dass dieser Nawalny gerade jetzt stirbt, denn noch immer hat das Kiewer Regime keine »TAURUS«-Raketen erhalten. Da ergibt es Sinn, erneut Stimmung gegen Russland hierzulande zu entfachen. Schon der lebende Nawalny war eines der Trojanischen Pferde, mit dem sich der Westen ideell in Russland moralisierend-verteufelnd, einnistete. Er war einer der 5. Kolonne und ist es bis jetzt wohl noch für eine gewisse Weile, bis sich der propagandistische Sargdeckel über diesen Mann schließt. Allerdings kann er nach Zweckmäßigkeit von Zeit zu Zeit aus seiner Grube hervorgeholt werden, wenn denn tüchtig in das militärische Jagdhorn geblasen werden soll. Doch mit seiner Person allein wird es nicht sein Bewenden haben, rasch sind weitere Nawalnys pünktlich zur Stell, denn Mietlinge des Westens, die für ein ordentliches Handgeld sich in Szene setzen werden, alles im Namen einer spintisierten Freiheit, wird es auch zukünftig geben. Ob die dann wie der Verstorbene als Heiland Russlands und Märtyrer für die rechte Sache agieren, darf indes bezweifelt werden, in der Hinsicht war wohl der Tote auf seine Weise einmalig, wenn auch theatralsich-hysterisch aufgemotzt. Dass er hierzulande so allerlei Anhänger haben dürfte, kann schon gut sein, in Russland ist es nur eine kleine akademische Kleinbürgerschicht in wenigen Großstädten wie Petersburg und Moskau, die diesem Mann huldigen, jener der Migranten auch mal Kakerlaken nannte. Dieser Mensch wäre in Deutschland gut und gern in der AfD passend gewesen, jener Partei, die hier auch zahlreiche Gegner zwar hat, diese aber dennoch einem rechtslastigen Nawalny huldigen. Diesen Spagat legen sie hin, so schizophren geht es bei beachtlichen Teilen bürgerlicher Menschen zu, halt der ganz normale tägliche Wahnsinn, wie er in den westlichen Wertestaaten obwaltet.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (18. Februar 2024 um 20:08 Uhr)
    Während der »Werte-Westen« seit Jahren Julian Assange ohne Anklage in Isolationshaft zu Tode foltert, wird der von der CIA und diversen US-Think-Tanks aufgebaute russische Faschist und Rassist Nawalny von den gleichen Heuchlern und Mördern sowie deren gleichgeschalteten Massenmedien zu einem Helden erklärt und zu einem Kämpfer für die »westlichen Werte« verklärt. Wer da noch die letzte Mahlzeit drinnen behält, der kann keinen Magen haben. Von einem Gewissen ganz zu schweigen.
    • Leserbrief von Wolfgang Schmetterer aus Graz (19. Februar 2024 um 14:51 Uhr)
      Sie schreiben mir aus der Seele, vielen Dank!

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