4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 19.02.2024, Seite 4 / Inland
Erinnerung an rechte Gewalt

Solidarität und Mitgefühl

Vier Jahre nach dem rassistischen Anschlag: Hanau bleibt ein Ort des Widerstands. Eindrücke von der Gedenkdemonstration am Wochenende
Von Dîlan Karacadağ, Hanau
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Demonstranten am Sonnabend in Hanau

Am Sonnabend fand in Hanau eine bewegende Demonstration statt, um an die neun Menschen zu erinnern, die am 19. Februar 2020 bei einem rassistischen Anschlag ihr Leben verloren hatten. Laut Veranstalter beteiligten sich rund 8.000 Menschen, die Polizei sprach von 5.000 Teilnehmern. Einmal mehr sind also viele Menschen zusammengekommen, um gemeinsam der neun Opfer zu gedenken und ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Die Demonstration nahm ihren Anfang Ecke Krämerstraße/Heumarkt, dem ersten Tatort des grausamen Verbrechens.

Tausende Menschen versammelten sich im Stadtteil Kesselstadt in der Nähe eines der weiteren beiden Tatorte. Viele trugen Schilder mit Fotos und Namen der ermordeten Menschen. Anschließend begann die Kundgebung auf dem Marktplatz, bei der Angehörige und Überlebende sowohl aus Hanau, als auch aus Halle, München und Dortmund bewegende Reden hielten. Die Angehörigen der Opfer schilderten ihren Verlust, ihr Leid und ihre Wut und warnten vor einer zunehmenden faschistischen Gefahr und vor Rassismus in Deutschland.

»Hanau ist ein Ort des Widerstands«, so die Mutter des Ermordeten Ferhat Unvar, Serpil Temiz Unvar. Die Gründerin der Bildungsinitiative Ferhat Unvar kritisierte den unzureichenden Zusammenhalt der Betroffenen und wies darauf hin, dass »Hanau ein Ort, an dem zusammengehalten wird«, ist. Hanau sei ein Ort, an dem für Zusammenhalt, Existenz, Freiheit und Frieden gekämpft werden müsse. »Diejenigen, die Hass verbreiten, fürchten unseren Zusammenhalt. Wenn wir uns durch unterschiedliche Meinungen spalten lassen, spielen wir in ihre Hände. Statt dessen sollten wir zusammenhalten und füreinander kämpfen«, so Serpil Unvar. Um gegen Rassismus anzukämpfen, müssten zuerst interne Konflikte überwunden werden. Die Spaltung innerhalb der migrantischen Community behindere das Erreichen des gemeinsamen Ziels. Weiter sagt Unvar in ihrer Rede: »Es ist ein Kampf, der überall stattfindet und für Menschlichkeit und gegen Hass in der Gesellschaft steht. Ich habe mein Leben dem Gedenken und dem Kampf gewidmet und werde bis zum Ende mit Ferhat für euch kämpfen. In den Jugendlichen sehe ich Ferhat und seinen Mut. Die neun Menschen leben in euch weiter. Der Widerstand lebt in uns allen. Ich brauche kein Mitleid, ich brauche Mitgefühl.«

»Say their Names – Sagt ihre Namen, damit sie nicht vergessen werden« und der Satz von Ferhat Unvar »Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst«, waren die zentralen Botschaften bei den Redebeiträgen. Die Reden der Hinterbliebenen waren sowohl emotional als auch stärkend, und sie berührten die Herzen aller Anwesenden. Die Gedenkveranstaltung in Hanau war ein weiterer wichtiger Schritt, um die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten und gleichzeitig auf die dringende Notwendigkeit hinzuweisen, gegen Rassismus und Gewalt vorzugehen. Auf der Kundgebung wurde noch einmal daran erinnert, dass die Hinterbliebenen zusammen mit verschiedenen Organisationen über 18 Monate lang jede der insgesamt 30 öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses beobachtet, dokumentiert und kommentiert haben. Gemeinsam haben sie die offenen Fragen und Anklagen der Betroffenen sichtbar und unüberhörbar gemacht. Die Kette des polizeilichen und behördlichen Versagens wurde von ihnen öffentlich kritisiert und skandalisiert. In ihrer gemeinsamen Erklärung betonten die Angehörigen der Ermordeten: »Solange keine politische Verantwortung für die Fehler und Versäumnisse übernommen wird, wird es keine Ruhe geben. Wir kämpfen weiter um Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen.«

Am 19. Februar 2020 waren am ersten Tatort in der Bar »La Votre« Kaloyan Velkov, auf der Straße davor Fatih Saraçoğlu und in der benachbarten Shisha-Bar »Midnight« der Eigentümer Sedat Gürbüz ermordet worden. Vili Viorel Păun beobachtete aus seinem Pkw heraus, wie der Täter einen Kiosk am Heumarkt betrat und versuchte, sich ihm in den Weg zu stellen. Er wurde auf dem Parkplatz in seinem Auto in Kesselstadt ermordet. In dem Kiosk erschoss der Täter Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz und Ferhat Unvar. Im benachbarten »Arena Bar & Café« erschoss er Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović. Zuletzt fuhr er zu seiner Wohnung in Kesselstadt zurück und tötete dort seine Mutter und schließlich sich selbst.

Die Gedenkveranstaltung in Hanau war von großer Solidarität und Mitgefühl geprägt und verdeutlichte den gemeinsamen Kampf um Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen. Die Kundgebung zeigte, dass die Menschen hier weiterhin für eine Welt eintreten, in der alle in Frieden und Harmonie zusammenleben können.

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