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Aus: Ausgabe vom 19.02.2024, Seite 2 / Ausland
Ukraine-Krieg

Awdijiwka gefallen

Rückzug ukrainischer Truppen. Selenskij beklagt unzureichende Unterstützung
Von Reinhard Lauterbach
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Ihr Leben soll geschont werden: Soldaten der »3. separaten Sturmbrigade« in einem am Freitag veröffentlichten Video aus Awdijiwka

Nach viermonatigen Kämpfen haben russische Truppen am Wochenende die praktisch vollständige Kontrolle über die nördlich von Donezk gelegene Stadt Awdijiwka übernommen. Das ukrainische Oberkommando bestätigte, dass es den »geordneten Rückzug« seiner Truppen befohlen habe, um »Leben der eigenen Soldaten zu schonen«.

Dies stimmt aber nur bedingt. Einerseits stellten Vertreter der »3. separaten Sturmbrigade« der Ukraine, hinter der sich das faschistische »Asow«-Regiment verbirgt, Bilder ins Netz, wonach sie in der Kokerei der Stadt weiter militärischen Widerstand leisteten. Andererseits fand auf der ukrainischen Seite ein Video von einem Telefongespräch eines Soldaten mit seiner Schwester weite Verbreitung. Er schilderte darin, dass seine Einheit ihn und sechs weitere Kameraden verwundet zurückgelassen habe. Das Video endet damit, dass russische Soldaten in den Raum kommen und die Ukrainer gefangen nehmen.

Der Fall von Awdijiwka ist in erster Linie eine propagandistische Niederlage des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, der über Wochen das Halten der Stadt angeordnet hatte. Er versuchte auf der »Sicherheitskonferenz« in München, den Schwarzen Peter der Verantwortung für diese Niederlage weiterzuschieben: Der Fall der Stadt sei die Folge »unzureichender Waffenlieferungen« seitens der westlichen Verbündeten. Selenskij »drohte« auch, falls die USA keine Waffen mehr lieferten, müsse sich die Ukraine überlegen, ob sie ihrerseits Washington noch als »strategischen Verbündeten« betrachten könnte.

Auf der selben Veranstaltung brachte der ukrainische Parlamentsabgeordnete Olexij Gontscharenko eine mögliche nukleare Wiederbewaffnung seines Landes ins Spiel. Er stellte US-Außenminister Antony Blinken die Frage, ob die Ukraine nicht in diese Richtung arbeiten müsste, wenn sie nicht in die NATO aufgenommen würde. Vordergründig wich Blinken der Frage aus: Es sei »gemeinsame Aufgabe, Russland klarzumachen, dass es mit der Aggression gegen die Ukraine einen kapitalen strategischen Fehler gemacht« habe. Aber man kann aus der Sprechblase die Annahme ableiten, dass die USA eine solche Wiederaufrüstung der Ukraine tolerieren würden. Käme es dazu, wäre der Krieg tatsächlich ein »kapitaler strategischer Fehler« Russlands gewesen.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (20. Februar 2024 um 14:51 Uhr)
    Der Abzug bedeutet für die ukrainische Armee eine empfindliche Prestigeniederlage. Awdijiwka, heute nur noch eine gewaltige Ruinenlandschaft, galt einst als Bollwerk an der Grenze zu den von Moskau besetzten Gebieten im Donbass. Der Ort, der einst 30.000 Einwohner beherbergte, liegt nur etwa zehn Kilometer nördlich der Stadt Donezk, die von Separatisten im Jahr 2014 erobert wurde und seither als Verwaltungszentrum des abtrünnigen Bezirkes, heute Teil der Russischen Föderation, fungiert. Die Präsenz der ukrainischen Streitkräfte in unmittelbarer Nähe war Moskau ein Dorn im Auge, da sie von Awdijiwka aus kontinuierlich mit Feuerkraft gegen Donezk vorgingen und erheblichen Schaden anrichten konnten. Gemäß offiziellen Angaben aus Kiew verfügte die ukrainische Armee nicht über ausreichende Ressourcen, um der überlegenen russischen Streitmacht wirksam entgegenzutreten. Ein Mangel an Munition wird als vorherrschendes Problem genannt. Ein weiterer entscheidender Faktor war die russische Luftwaffe, die in Frontnähe nahezu ungehindert ihre Raketen abfeuern konnte. Dieser Verlust markiert einen weiteren Rückschlag für Kiew in seinem bald zweijährigen Abwehrkampf.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinz-Joachim R. aus Berlin (21. Februar 2024 um 10:26 Uhr)
      Lieber Istvan! Der Begriff »Abwehrkampf« scheint mir wohl angesichts dessen, dass die Ukraine als Brückenkopf der NATO bei der Einkreisung Russlands dient, deplaciert.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (20. Februar 2024 um 13:25 Uhr)
    Dass die USA eine nukleare Wiederaufrüstung der Ukraine tolerieren werden, deutete sich bereits Februar 2022 an. Selenskijs entsprechende Drohung auf der Münchner Sicherheitskonferenz fand ja einen Tag vor dem 20.2.2022 statt, jenem Tag, zu dem die USA den russischen Angriff auf die Ukraine »vorhergesagt« hatten. Das wirkt wie abgesprochen. Nach Selenskijs Drohung mit atomarer Wiederaufrüstung hatten die USA zudem umgehend atomwaffenfähige Bomber F-35-Lightning Richtung Ukraine entsandt. Russland wird das als einen Hinweis gewertet haben, wie die nukleare Wiederaufrüstung der Ukraine erfolgen soll: nämlich sofort. Das war natürlich ein Argument, nicht länger mit dem Eingreifen in den Donbasskrieg zu warten.
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (21. Februar 2024 um 09:29 Uhr)
      Sie schreiben vollkommen zutreffend: »Russland wird das als einen Hinweis gewertet haben, wie die nukleare Wiederaufrüstung der Ukraine erfolgen soll: nämlich sofort. Das war natürlich ein Argument, nicht länger mit dem Eingreifen in den Donbasskrieg zu warten.« Daher war nach dem 24. Februar 2022 insbesondere die Besetzung der Atomkraftwerke sofortiges, vorrangiges Ziel, da die Ukraine aus dem gelagertem radioaktivem Material auch ohne Stationierung von US-Atomwaffen relativ schnell selbst so genannte »schmutzige A-Waffen« hätte fabrizieren können, Waffen, die einen mehrfachen Schaden des Unglücks von Tschernobyl – diese Mal bewusst – herbeigeführt hätten. Dennoch war die Atomfrage wohl eine von mehreren Gründen. Die ganze Art und Weise, wie der Westen das Ukraine Thema behandelt, als eine Staatengemeinschaft, die unter Einsatz erheblicher finanzieller (Schulden) und militärischer Mittel, sowie aller nur denkbaren Sanktionen in einer bisher nie dagewesenen Breite auf Kosten der Ukraine gegen Russland Krieg führt, zeigt Russland doch, was es bei nächster sich bietender Gelegenheit ohnehin zu erwarten gehabt hätte. Ein Anlass findet sich immer. Die Osterweiterung der NATO geschah doch nicht einfach so, aus einfachen Prestigegründen einer »Verteidigungsgemeinschaft« oder um einzelnen Ländern einen Gefallen zu tun, welche dies wünschten. Die NATO-Osterweiterung war und ist ganz real das Vorspiel zu einem fest eingeplanten Krieg mit Russland, dann wiederum auf Kosten der daran beteiligten Länder zum Gewinn der US-Rüstungsindustrie. Sehr schnell wird sich dann herausstellen, ob die Beistandsregel der NATO so ausgelegt wird, wie es Frankreich und GB 1939 in Bezug auf Polen taten. Es wird beschriebenes Papier sein. Der Krieg in Europa wird dann allerdings laufen und alle »Verbündete«, in Wirklichkeit wirtschaftliche Konkurrenten der USA, werden schwer geschädigt. Die USA werden nach diesem Krieg besser da stehen als Deutschland. Wacht doch auf!
      • Leserbrief von Franz Döring (21. Februar 2024 um 13:06 Uhr)
        Sie reden nie darüber, was für verheerende Auswirkungen der imperialistische Krieg Russlands gegen die Ukraine für die kommunistischen Parteien besonders in Osteuropa hat! Finden Sie es auch nicht merkwürdig, dass gerade die ehemaligen Bruderländer der UdSSR das heutige Russland besonders fürchten! Wo sind die Millionen Kommunisten in Osteuropa denn geblieben? Warum haben Finnland und Schweden denn jetzt Russland als große Gefahr für ihre Sicherheit gesehen? Warum unterstützt Russland die faschistische und ausländerfeindliche AFD? Warum unterstützt Russland nicht die kommunistischen Parteien in Europa? Russland hat im Gegenteil durch seine Politik die rechten Parteien in Europa gestärkt! Das hat mit Kommunismus nichts mehr zu tun! Russland betreibt eine nationalistische Politik!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralf S. aus Gießen (19. Februar 2024 um 02:52 Uhr)
    Wenn man ein bisschen in unterschiedlichen Quellen zum Vorgang liest, scheint die Realität näher an der russischen Version als an der ukrainischen zu sein. Laut den Russen war das ganze eher eine ungeordnete Flucht, die bereits begonnen hatte, bevor überhaupt der Befehl zum Rückzug kam, man also von Seiten der Führung das ganze lediglich nachträglich legitimiert hat, um nicht dumm dazustehen, angesichts der Tatsache, dass die ukrainischen Einheiten, um der drohenden Einkesselung zu entgehen, auch ohne Befehl von oben mit dem Rückzug/der Flucht begonnen hatten. Und das wohl über offenes Gelände unter gegnerischen Feuer. Selbst in einem Tweet irgend eines ukrainischen Befehlshabers wurde eingeräumt, dass im Zuge des Rückzugs ukrainische Soldaten von der Gegenseite gefangen genommen wurden. Was im Zusammenhang mit Informationen aus anderen Quellen wohl wirklich zurückgelassene Verwundete meinte. Ein Rückzug kann wohl kaum geordnet gewesen sein, wenn man die eigenen verwundeten Soldaten zurücklassen muss, so dass diese unvermeidlich den »Orks« in die Hände fallen. Auf der anderen Seite hat man ähnliches immer gern den Russen vorgeworfen (Verwundete zurücklassen oder die Leichen der eigenen Soldaten nicht zu bergen) als Ausdruck ihres vermeintlich unzivilisierten und inhumanen Charakters.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (20. Februar 2024 um 05:45 Uhr)
      »Auf der anderen Seite hat man ähnliches immer gern den Russen vorgeworfen (Verwundete zurücklassen oder die Leichen der eigenen Soldaten nicht zu bergen) als Ausdruck ihres vermeintlich unzivilisierten und inhumanen Charakters.« Das war schon immer Projektion. So langsam sollte auch den einfachsten Gemütern (Vorredner ausgeschlossen) klar sein, dass derlei Zuschreibungen nur widerspiegeln, was man im ukrainischen Lager tat und weiterhin tun wird: »Was ich selber denk’ und tu’, schreibe ich dem Gegner zu«. Was soll man auch von feigen Faschisten erwarten (siehe auch meinen Kommentar hier: https://kurzelinks.de/tn17)?! Wie der Autor herausstellt, handelt es sich um die x-te Iteration der »Asow«-Nazis. Fehlt nur noch, dass vom »glorreichen« Niedergang schwadroniert wird – siehe die Verklärung des »Niedergangs der 6. Armee im Kessel Stalingrad«. Wie Marx schon sagte: »Geschichte ereignet sich immer zweimal, erst als Tragödie, dann als Farce.« Die Russen haben auch dazugelernt: Vladimir Truchan, Oberst der Reserve der russischen Luftabwehr, erklärte kürzlich in einem Interview, dass die vollständige Umzingelung gar nicht das Ziel ist bzw. war, weder in Bachmut – was Prigoschin nicht begreifen wollte – noch in Awdijiwka, denn dann würde ja der Zustrom von »Frischfleisch« für den »Fleischwolf« gestoppt, was kontraproduktiv bei der Verfolgung des Ziels der Demilitarisierung ist. Viel besser ist es, den Keim der Hoffnung beim Feind nicht zu ersticken, um ihn Verstärkung schicken zu lassen, über Routen, die unter Feuerkontrolle sind, also nach belieben beschossen werden können. Ja, so zynisch ist echter Krieg, wenn der Gegner kein Sandalen tragender mit einer Kalaschnikow bewaffneter Ziegenhirte ist – und Schach spielen kann! Das begreifen die Spinner im Pentagon und in der NATO einfach nicht, denn, gleich den Nazis, von denen sie die »Lektionen« des 2. Weltkriegs lernten (Operation »Büroklammer«), sind sie sich der eigenen Überlegenheit nur allzu sicher. Sun Tsu lässt grüßen!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (18. Februar 2024 um 23:12 Uhr)
    Ich erinnere mich irgendwie und ziemlich dunkel daran, dass Herr Selenski auf einer »Sicherheits«konferenz genau über atomare Bewaffnung der Ukraine geredet hat und ein paar Tage später (deswegen?) die russische Sonderoperation begann. Ich könnte mir gut vorstellen, dass der Herr Putin den kapitalen Fehler einer atomaren Bewaffnung der Ukraine verhindern wird. Möglicherweise um den Preis der atomisierung selbiger und (westlich) angrenzender Gebiete. Napalm und Agent Orange wären natürliche auch eine Variante.

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