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Aus: Ausgabe vom 17.02.2024, Seite 5 / Inland
Deutsche Bahn

Bahn in Auflösung

EU-Kommission droht mit Zerschlagung der Frachtsparte DB Cargo. Konzernführung und Regierung verhandeln, Logistiktochter Schenker vor dem Verkauf
Von Ralf Wurzbacher
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Alle Signale auf Rot: Güterzüge am Seehafen Rostock

Wenn schon die Ampel nicht den Schneid hat, die Deutsche Bahn (DB) zu zerschlagen, besorgt das eben die Europäische Union. Diese könnte Medienberichten zufolge aufgrund der tiefroten Zahlen der Güterverkehrssparte DB Cargo wettbewerbsrechtliche Sanktionen gegen den Staatskonzern verhängen und mithin einen Verkauf oder Teilverkauf der Gesellschaft anordnen. Bisher hatte die DB die Defizite stets ausgeglichen, weswegen die EU-Kommission schon vor zwei Jahren ein Verfahren wegen unzulässiger Beihilfen eingeleitet hatte. Weil Brüssel wegen ausbleibender Besserung bald ernst machen könnte, will die DB offenbar die Flucht nach vorn antreten und Geschäftsbereiche auslagern.

Am Mittwoch und Donnerstag saß DB-Chef Richard Lutz mit seinen Vorstandskollegen in Klausur, um über die größten Baustellen des Unternehmens zu beraten. Die Nachrichtenagentur Reuters hat erfahren, dass DB Cargo im zurückliegenden Jahr einen Verlust von nahezu einer halben Milliarde Euro eingefahren hat. Das wäre rund das Doppelte dessen, was der EU-Kommission seitens der Bundesregierung in Aussicht gestellt wurde. Europas größte Güterbahn ist mit ihren 2.500 Loks und über 80.000 Wagen seit über einem Jahrzehnt hochdefizitär unterwegs. Ursachen sind ein verschlissenes Schienennetz, mangelnde Investitionen und eine Verkehrspolitik, die Straße und Autos priorisiert. Das setzt sich nahtlos fort: Mit dem 2024er Bundeshaushalt wird die staatliche Trassenpreisförderung deutlich gekürzt. Außerdem will die gerade frisch installierte DB-Netzgesellschaft Infra-GO die Schienennutzungsgebühren drastisch erhöhen. Güterbahnverbände warnen deshalb vor riesigen Ladungsverlusten an den Lkw.

Dabei lautet die Ansage der Koalition eigentlich, den Anteil der Bahn am Frachtaufkommen von 19 auf 25 Prozent auszuweiten. Wie soll das gehen mit einer DB Cargo in Auflösung? Der frühere Monopolist befördert nicht einmal mehr die Hälfte aller auf der Schiene bewegten Güter. Und demnächst wohl noch viel weniger. »Hinter den Kulissen in Berlin und Brüssel wird intensiv über die Zukunft von DB Cargo verhandelt«, schrieben am Mittwoch die Stuttgarter Nachrichten. Die Gangart der Union erinnert an ein Szenario mit der französischen Staatsbahn SNCF. Auch beim deutschen Nachbarn steckten die Güterbahnen in der Verlustzone fest, woraufhin Brüssel verfügte, die Sparte für Investoren zu öffnen und Teile der Transporte abzutreten. »Damit ist die Güterbahn faktisch zerschlagen«, zitierte Reuters einen an den Gesprächen mit der Kommission Beteiligten. Inhaltlich ist bisher nichts aus der Runde gedrungen. Das Bundesverkehrsministerium sprach lediglich von einem »konstruktiven Austausch«.

»Wenn die Kommission nun die unnötigerweise schwächelnde DB Cargo zerschlagen möchte, ist das unverantwortlich – nicht nur aus ökologischen Gründen«, äußerte sich der Journalist und DB-Kritiker Arno Luik am Donnerstag gegenüber der jungen Welt. »Das ist ein Angriff auf das gesamte System Deutsche Bahn, vermutlich ein wichtiger Schritt Richtung Privatisierung.« Eine »massive Attacke gegen die Interessen von Deutschland«, beklagt auch Carl Waßmuth vom Bündnis »Bahn für alle«. Tatsächlich störe es die EU überhaupt nicht, »dass die schädlichsten Verkehrsformen Auto, Lkw und Flugzeug staatlich massiv subventioniert werden«, gab er am Freitag im jW-Gespräch zu bedenken. »Wäre die Bahn gemeinnützig, gäbe es keine rechtlichen Hebel gegen eine Förderung von Klimaschutz.« Waßmuth verwies auf den laufenden Prozess zum Verkauf der profitablen DB-Logistiktochter Schenker. Aus den Erlösen sollen die Konzernschulden von über 30 Milliarden Euro gedrückt werden. »Schienengüterverkehr muss in Transportketten eingefügt werden. Und diese Kompetenz von Schenker soll jetzt an den nächstbesten Hedgefonds gehen?«

Derweil sorgen sich die 31.000 Beschäftigten bei DB Cargo um ihre Zukunft. Schon einem im Vorjahr durch DB-Cargo-Chefin Sigrid Nikutta angekündigten Sanierungskonzept drohen laut Eisenbahngewerkschaft EVG bis zu 2.000 Arbeitsplätze zum Opfer zu fallen. Für 2024 peilt die Managerin eine »schwarze Null« an, auch um die EU-Kommission zu besänftigen. Bei einem Scheitern und einer dann möglichen Abtrennung von Unternehmensteilen stünden noch viel mehr Stellen auf dem Spiel. »Was qualifizierte Nikutta für diesen – auch in ökologischer Hinsicht – so wichtigen Posten?«, fragte Buchautor Luik. »So gut wie gar nichts, und damit steht sie beispielhaft für den gesamten DB-Vorstand. Das sind Menschen, die nicht vom Fach sind, die bei ihrem Amtsantritt Bahn-Azubis waren, überbezahlte Bahn-Azubis.«

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