Wut auf den Westen
Von Christian Selz, KapstadtEine Hand vor dem Mund, die andere zur Pistole geformt an der Schläfe – so haben sich die Spieler der Demokratischen Republik (DR) Kongo in der vergangenen Woche beim Halbfinalspiel des Fußball-Afrikacups gegen Gastgeber Côte d’Ivoire zur Hymne aufgestellt. Mit der Geste wollten sie auf die »Greueltaten« im Osten ihres Landes aufmerksam machen, wie Trainer Sébastien Desabre nach dem Spiel erklärte. Am Wochenende und zu Wochenbeginn kam es in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa zu weiteren Protesten, die sich vor allem gegen die Botschaften westlicher Staaten, aber auch gegen die Vereinten Nationen richteten. Demonstranten setzten UN-Fahrzeuge in Brand und verbrannten Flaggen der USA und der ehemaligen Kolonialmacht Belgien. Sie warfen dem Westen vor, das Nachbarland Ruanda bei der Unterstützung der Miliz »M23« im rohstoffreichen Ostkongo gewähren zu lassen. Die kongolesische Polizei setzte Reizgas gegen die Protestierenden ein.
Eskalation in Ostkongo
Der Krieg im Osten des Kongo droht derweil weiter zu eskalieren. Dort hat die »M23« lokalen Berichten zufolge die Stadt Sake eingeschlossen, die etwa 20 Kilometer westlich von Goma, der Hauptstadt der Provinz Nordkivu, liegt. Wie Al-Dschasira bereits vergangene Woche berichtete, flohen Tausende Menschen zu Fuß in Richtung Goma. Allein seit November vergangenen Jahres soll eine Million Menschen in der Region zur Flucht gezwungen worden sein – zusätzlich zu den 6,9 Millionen, die durch den seit Jahrzehnten andauernden Konflikt bereits vertrieben worden sind.
Am Montag berichtete das UN-Kinderhilfswerk UNICEF von der Explosion eines auf ein Flüchtlingslager bei Sake abgeschossenen Sprengsatzes. Drei Menschen sollen dabei örtlichen Angaben zufolge getötet worden sein, acht weitere verletzt. Kongos Regierungssprecher Patrick Muyaya warf der Armee des Nachbarlands Ruanda vor, das Geschoss abgefeuert zu haben. Lokale Quellen berichteten von schweren Kämpfen nahe Sake. Die Stadt ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und sowohl für die Versorgung der direkt an der Grenze zu Ruanda gelegenen Millionenstadt Goma als auch für den Nachschub der kongolesischen Armee von großer Bedeutung. Helfer vor Ort warnen unterdessen vor möglichen Seuchenausbrüchen. »Die Stadt Goma, die bereits vor der jüngsten Eskalation mehr als 500.000 vertriebene Menschen aufgenommen hat, steht nun vor einer unerträglichen Überfüllung, die Infrastruktur reicht nicht aus, um die mehr als 150.000 Neuankömmlinge mit Unterkünften und dem Nötigsten zu versorgen«, erklärte die Landesdirektorin der globalen Hilfsorganisation »Mercy Corps«, Emilie Vonck, am Dienstag gegenüber dem südafrikanischen Nachrichtenportal News24.
Derweil sind die seit kurzem im Ostkongo stationierten südafrikanischen Truppen, die dort als Teil der Interventionstruppe der Staatengemeinschaft des südlichen Afrikas, selbst unter Beschuss geraten. Zwei Soldaten seien am Mittwoch durch eine Mörsergranate getötet worden, die auf eine Basis bei Goma abgefeuert worden war, erklärte eine südafrikanische Armeesprecherin. Unter Feuer geriet auch eine Aufklärungsdrohne der Vereinten Nationen. Wie AFP am Montag berichtete, geht aus einem ihr vorliegenden, nichtöffentlichen UN-Bericht hervor, dass das Fluggerät mit einer Boden-Luft-Rakete beschossen worden sei, die mutmaßlich von der ruandischen Armee stamme. Französische Geheimdienstinformationen sollen dies belegt haben. Die Drohne, die nicht getroffen wurde, habe zudem Aufnahmen der mobilen Raketenabschusseinheit geliefert, die sich zu diesem Zeitpunkt 70 Kilometer nördlich von Goma, also auf kongolesischem Staatsgebiet, befunden habe.
Vorwürfe gegenüber Ruanda
Kongo, die UNO und inzwischen sogar Ruandas Verbündete wie die USA und Frankreich werfen Kigali vor, die »M23« zu unterstützen. Die Regierung von Präsident Paul Kagame weist die Anschuldigungen jedoch kategorisch zurück und blockiert zugleich jegliche Vermittlungsversuche mit dem Scheinargument, keinen Einfluss auf die Miliz zu haben. Ernsthafte Konsequenzen hat Kagame aus dem Westen trotzdem kaum zu befürchten, denn er wird gebraucht: Sein Militär sichert beispielsweise auf Geheiß Frankreichs eine Gasförderanlage des französischen Konzerns Total gegen islamistische Rebellen in Nordmosambik, auch für London und Washington ist Ruanda ein wichtiger Verbündeter in Ostafrika.
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