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Aus: Ausgabe vom 14.02.2024, Seite 8 / Inland
Streik bei Hamburgs Hochbahn AG

»Eine Entlastung mit 50 nützt wenig«

Hamburg: Beschäftigte der Hochbahn streiken für bessere Arbeitsbedingungen. Ein Gespräch mit Gabriel Riesner
Interview: Kristian Stemmler
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Beschäftigte der Hamburger Hochbahn AG streikten am 2. Februar für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen

Bundesweit laufen Tarifverhandlungen im kommunalen Nahverkehr. Am 2. Februar gab es die ersten Warnstreiks. Sie verhandeln mit der Hamburger Hochbahn AG, die die U-Bahn und den Großteil des Busverkehrs der Hansestadt betreibt. Wie lauten Ihre Forderungen?

Uns geht es hauptsächlich um eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen der rund 6.000 Beschäftigten der Hochbahn. Wir fordern unter anderem die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich, eine Erhöhung der Urlaubstage auf 32 im Jahr, eine Begrenzung der Dienstlängen und höhere Zulagen für Arbeit zu ungünstigen Zeiten. Im Kern geht es um die Entlastung der Beschäftigten.

Verdi hat zur Begründung der Forderungen auf die hohe Belastung der Beschäftigten verwiesen.

Vor allem die Belastung der Fahrerinnen und Fahrer ist hoch. Die müssen flexibel einsetzbar sein, sie haben im Grunde keine verlässlichen Arbeitszeiten. Selbst wenn du tendentiell früh fährst, heißt das zum Beispiel nicht, dass du wie in einem Industriebetrieb jeden Morgen um sechs Uhr anfangen kannst, sondern das kann zwischen drei und sieben Uhr sein. Hinzu kommen Dienstlängen zwischen weniger als sechs Stunden und bis zu 9,5 Stunden – das ist Chaos für den eigenen Rhythmus und nach oben hin viel zu lang. Es gibt unterschiedliche Schichtmodelle, zum Beispiel sechs Tage Arbeit, drei Tage frei. Dadurch kommt man auch in Situationen, dass man nur ein freies Wochenende im Monat hat. Aufgrund des Personalmangels nehmen zudem die Anfragen an die Fahrerinnen und Fahrer stark zu, an freien Tagen Dienste zu übernehmen, also Überstunden zu leisten.

Wie wirken sich die Belastungen aus?

Vor allem beim Fahrdienst verzeichnen wir hohe Krankenstände, und zwar unabhängig vom Alter. Mit unseren Forderungen wollen wir also vor allem auch die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen schützen. Die Belastung hat aber noch eine weitere Auswirkung, nämlich dass sich zu wenig Leute für den Job im Fahrdienst interessieren. Wir beobachten immer wieder, dass Interessenten sich das kurz ansehen und dann wieder gehen, weil ihnen der Stress offensichtlich zu groß ist.

Nun hat die Hochbahn in der zweiten Verhandlungsrunde ein neues Angebot vorgelegt, das attraktivere Bedingungen im Schichtdienst vorsehen soll. Beschäftigte könnten bis zu 25 zusätzliche freie Tage pro Jahr erreichen, heißt es da.

Das Angebot reicht uns definitiv nicht, und wir haben es deutlich zurückgewiesen. Das ist eine Mogelpackung, weil die genannten 25 Tage die wenigsten erreichen würden. Da geht es nach Alter. Eine Entlastung, wenn die Fahrer bereits Mitte 50 sind und vielleicht schon kaputt vom Stress, nützt wenig.

Verdi geht es mit seinen Forderungen auch um die Mobilitätswende.

Es soll bundesweit deutlich werden, wer die Verkehrswende bewerkstelligen kann, nämlich die kommunalen Verkehrsbetriebe. Hamburg investiert da viel, zum Beispiel in die neue U-Bahn-Linie U 5 oder viele neue Elektrobusse. Die Verdoppelung der Kosten der U 5 wird achselzuckend akzeptiert, aber für die Beschäftigten ist offenbar kein Geld da. Da heißt es dann: Die zusätzlichen Ausgaben von rund 110 Millionen Euro könne man nicht wuppen.

Wie ist die Situation in anderen Bundesländern?

In den anderen Bundesländern gibt es Flächentarifverträge, in Hamburg Haustarifverträge, jeweils mit der Hochbahn und den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein. Das ist einmalig. Grundsätzlich kritisieren wir, dass es in Hamburg keinen Flächentarifvertrag gibt, weil dadurch die beiden Unternehmen bei Verhandlungen in Konkurrenz gesetzt werden können. Das macht keinen Sinn, denn beide Unternehmen sind im Besitz der Stadt Hamburg.

Ist mit weiteren Streiks im Hamburger Nahverkehr zu rechnen?

Wenn man sich aktuell ansieht, wie wenig auf dem Tisch liegt, an das wir einen Haken machen können, gehe ich davon aus, dass das noch mal nötig sein kann. Erst mal wird am kommenden Montag weiter verhandelt. Aber ich denke, da wird es noch keine echte Kehrtwende geben.

Gabriel Riesner ist Gewerkschaftssekretär für die Fachgruppe Busse und Bahnen bei Verdi Hamburg

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