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Aus: Ausgabe vom 14.02.2024, Seite 1 / Titel
Krieg gegen Gaza

Vertreibung im Gange

Gazastreifen: Plan für Zeltstädte mit ägyptischer Hilfe. Südafrika reicht neuen Eilantrag zu Angriffen auf Rafah beim IGH ein. Hungerkatastrophe weitet sich aus
Von Wiebke Diehl
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Die Einschläge rücken jede Minute näher: Im Norden von Rafah wird Khan Junis am Dienstag von Israel bombardiert

In Zeltstädten an der Grenze zu Ägypten will Israel die 1,4 Millionen Menschen, die durch die bevorstehende Ausweitung des Krieges auf Rafah bedroht sind, »schützen«. 15 Lager mit je 25.000 Zelten sollen für die zu evakuierende derzeitige Bevölkerung der normalerweise 300.000 Einwohner zählenden Stadt errichtet werden, wie das Wall Street Journal unter Berufung auf ägyptische Beamte am Montag (Ortszeit) berichtete. Zuständig für die Einrichtung der Zeltstädte und von Feldlazaretten wäre demnach Kairo. Ein entsprechender Vorschlag sei in den vergangenen Tagen unterbreitet worden.

Die Vereinten Nationen, die von Israel am Montag aufgefordert worden waren, bei der Evakuierung zu helfen, hatten abgewinkt. »Wir werden uns nicht an der Vertreibung von Menschen beteiligen«, so UN-Sprecher Stéphane Dujarric, der außerdem betonte, im südlichen Gazastreifen dürfe nichts geschehen, ohne dass der Schutz der Zivilbevölkerung gesichert sei. Auch dürften die Geflüchteten nicht in andere Gebiete in der Küstenenklave zurückgeschickt werden, die »mit nicht explodierten Kampfmitteln übersät« seien und in denen es keine Unterkünfte mehr gebe. Südafrika stellte wegen der Offensive auf Rafah am Dienstag erneut einen Eilantrag beim Internationalen Gerichtshof (IGH).

Der CDU- und Unionsfraktionsvorsitzende Friedrich Merz hingegen, der sich gerade in Israel aufhält, unterstützte den israelischen Plan, Zeltstädte zu errichten, im Gespräch mit dem Fernsehsender Welt. Merz hatte sich am Montag bedingungslos hinter die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen und auch auf Rafah gestellt. Die israelische Regierung tue »alles, um die Zivilbevölkerung zu schützen«, behauptete er nach einem Gespräch mit Premier Benjamin Netanjahu. Am Montag hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, der die Situation offenbar anders einschätzt als Merz, laut über einen Stopp von Waffenlieferungen an Israel nachgedacht. In dem inzwischen über vier Monate andauernden Krieg gegen den Gazastreifen sind mindestens 28.500 Menschen ums Leben gekommen, laut UNO rund 70 Prozent davon Kinder und Frauen. Am Montag warnte die UN-Welternährungsorganisation FAO, die gesamte Bevölkerung von über zwei Millionen Menschen befinde sich in einer der drei obersten Kategorien der internationalen Hungerkrisenskala: Das bedeute akuten Hunger, humanitäre Notlage oder hungersnotähnliche Zustände. Etwa ein Viertel der Bewohner sei vom Verhungern bedroht, die Lebensgrundlagen seien auf lange Sicht zerstört.

US-Präsident Joseph Biden mahnte im Gegensatz zu Merz, die in Rafah »zusammengepferchten« Menschen seien »ungeschützt und verletzlich«, und sprach sich gegen eine »Zwangsumsiedlung von Palästinensern aus dem Gazastreifen« aus. Man arbeite an einem Geiselabkommen, das zu einer mindestens sechswöchigen Waffenruhe führen würde. US-amerikanische, katarische und ägyptische Vertreter kamen am Dienstag in Kairo zusammen, um Wege für eine Feuerpause auszuloten. Das russische Präsidialamt erklärte, »alles zu unterstützen, was zur Freilassung der Geiseln und zu einer Waffenruhe führen wird«. Ziel müsse aber eine umfassende Lösung des Konflikts sein, die sich »im Rahmen des internationalen Rechts und der verabschiedeten Resolutionen des UN-Sicherheitsrats« bewege. Auch China forderte, Israel solle seine »Militäroperationen so schnell wie möglich einstellen«.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (14. Februar 2024 um 10:04 Uhr)
    Die gegenwärtige Vertreibung ist ein integraler Bestandteil der strategischen Zielsetzung Israels. Die Motivation dahinter gründet sich in der Tatsache, dass der Gazastreifen über die umfangreichsten Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer verfügt, die eigentlich den dort Lebenden gehören. Israel hat bisher erfolgreich versucht, die Ausbeutung dieser Ressourcen zu sabotieren. Die Vorstellung, dass die rund zwei Millionen Palästinenser in der Region durch den Verkauf des Gases Wohlstand erlangen und Selbstbestimmung erreichen könnten, wird von Israel als Bedrohung betrachtet. Insbesondere vor dem Hintergrund des absehbaren Untergangs der USA, was eine unsichere Zukunft in einem feindseligen arabischen Umfeld bedeuten würde. Ohne die Unterstützung der USA wäre es für Israel unmöglich, den gegenwärtigen Wohlstand sowie das künftige militärische Gleichgewicht, geschweige denn die bisherige Überlegenheit, aufrechtzuerhalten. Daher bleibt als Überlebensstrategie nur die Kontrolle über die Gasfelder vor dem Gazastreifen durch die Übernahme des Gazastreifens selbst.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Eike Andreas S. aus 21244 Buchholz (13. Februar 2024 um 20:58 Uhr)
    Der israelische Vertreibungsplan der Palästinenser in den Sinai, also nach Ägypten, wird die Zahl der Menschen, die weltweit in Flüchtlingslagern leben müssen, um mehr als 40 Prozent erhöhen. Denn dass dies das Ziel des Krieges gegen Gaza ist, wurde schon unmittelbar nach dem 7. Oktober von Vertretern der israelischen Regierung offen geäußert (aber z. B. von der deutschen Regierung und vielen, die wider besseres Wissen davon nichts hören wollten, schlicht überhört). Weltweit leben derzeit 4,6 Millionen Flüchtlinge in Flüchtlingslagern, die von UNHCR oder Partnerorganisationen gemanagt werden. Hinzu kommen etwas mehr als 2 Millionen in »wilden« Lagern. Die angeblich geplanten 15 Lager mit jeweils 25.000 Zelten ergeben insgesamt 375.000 Zelte – eine völlig utopische Zahl. Insgesamt ist das ungefähr die Menge, die das UNHCR in vier Jahren weltweit für Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung stellen kann. Dabei dient ein Zelt als Unterkunft für eine Familie, also 4 bis 5 Personen, insgesamt also 1,5 Millionen Menschen, pro Lager also etwa 100.000 Menschen. Weltweit das größte Lager ist Kutupalong in Bangladesh mit etwa 650.000 Geflüchteten, vor allem Rohingya. In Afrika liegen Kakuma (etwa 250.000) und Dadaab (ca. 275.000) in Kenia an den ersten Stellen. Im Libanon leben etwa 250.000 Palästinenser in den 12 von UNRWA (dem UN-Hilfswerk für Palästinenser) verwalteten Lagern. Das Größte Flüchtlingslager in Nahost ist Zaatari in Jordanien mit etwa 80.000 Bewohnern. Wie schrieb Erich Fried: Den Geschlagenen habt ihr befohlen: »Zieht eure Schuhe aus!« Wie den Sündenbock habt ihr sie in die Wüste getrieben. In die große Moschee des Todes, deren Sandalen Sand sind, doch sie nehmen die Sünde nicht an, die ihr ihnen auferlegen wolltet. Den Eindruck der nackten Füße im Wüstensand überdauert die Spur eurer Bomben und Panzer.

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