Aus dem Jenseits
Von Frank SchäferEs war keine einfache Freundschaft, man hatte immer wieder mit Zurückweisungen zu rechnen. Wenn ich ihn nachmittags anrief, konnte er einen schon mal anranzen, das sei nicht die Zeit, um Telefonate zu tätigen, Schriftsteller sprächen in den Abendstunden miteinander, wenn die anderen vorm Fernseher säßen. Und dann warf er mich aus der Leitung.
Ein anderes Mal trafen wir uns bei ihm, um ein gemeinsames Manuskript zu lektorieren. Wir verbissen uns in den Text, sahen nichts anderes, bekamen einen Lagerkoller, und er schrie mich irgendwann an, weil ich ein Wort verwendet hatte, das sein Stilempfinden tödlich beleidigte. Der Abgabetermin nahte, also blieb ich trotzdem.
Eine Freundschaft kann eine gewisse Anzahl kleiner Schmähungen wegstecken, aber schließlich bekommt das Unwichtige doch auf einmal Gewicht. Ich suchte Abstand, schlug ein weiteres Buchprojekt aus und wir schrieben uns dann eine Weile nur mehr sporadisch.
Jahre vergingen, er wurde krank, litt unter psychosomatischen Störungen und meldete sich auf einmal wieder regelmäßig. Wir verabredeten ein Treffen in Leipzig, wo wir uns bei einer Buchmessenveranstaltung kennengelernt, sofort gemocht und entschieden betrunken hatten. Zehn Jahre später hatten wir immer noch Spaß aneinander, irgendwann musste er zur Bahn und versprach, mich bald in meinem neuen Domizil zu besuchen. Und dann brachte er sich um.
Ich trauerte ihm und unserer Freundschaft eine ganze Weile hinterher, weil mir leidtat, wie sie langsam versickert war, und dass wir nicht genügend Zeit gehabt hatten, sie zu erneuern. Ich war an seinem Grab und machte schließlich meinen Frieden. Zwei Jahre später war plötzlich alles wieder da und ich rief seine Frau an, um jemanden zum Reden zu haben, der sich auch noch einmal gern an ihn erinnerte. Aber dann ging er selber ran.
Die trauernde Witwe hatte seinen Anrufbeantworterspruch offenbar immer noch nicht löschen können, also bat mich der verstorbene Freund mit süffisant-ironischer Stimme, mein Anliegen aufs Band zu sprechen, er werde mich dann umgehend zurückrufen. Das fuhr mir eiskalt in die Gebeine und ich legte erschrocken auf. Ich konnte keine Nachricht hinterlassen, vielleicht aus einer heidnischen Angst heraus, er würde tatsächlich zurückrufen.
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Leserbrief von Toralf Schreiber aus Eisenhüttenstadt (19. Februar 2024 um 17:41 Uhr)Vielen Dank Herr Schäfer für den Artikel zum Gedenken an Michael Rudolf, den ich als Leser seiner Bücher sehr verehre! Ich wünsche ihnen alles Gute, Gesundheit und weiterhin schriftstellerischen Fleiß!
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