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Aus: Ausgabe vom 13.02.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Russische Wirtschaft

Moskau bleibt sanktionsfest

Der Westen konnte Russland nicht »erdrosseln«. Jetzt wird eine »Überhitzung« der dortigen Konjunktur diagnostiziert. Was ist dran?
Von Reinhard Lauterbach
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Russlands Wirtschaft ist vom Export von Rohstoffen abhängig, aber daran besteht allgemeiner Bedarf

Ein Wachstum von 3,6 Prozent bei einer Arbeitslosigkeit von 2,4 Prozent – von den makroökonomischen Zahlen, wie sie aus Russland gemeldet werden, kann die Bundesrepublik derzeit nur träumen. Bei einer Inflation um die 7,4 Prozent und einem Zinssatz von 16 bemühte die russische Zentralbankpräsidentin Elwira Nabiullina allerdings selbst das Bild von einem getunten Auto, um den Zustand der russischen Volkswirtschaft zu beschreiben. Trotzdem: Wenn in Deutschland die Wirtschaft im vierten Quartal 2023 um 0,4 Prozent geschrumpft ist bei einer Inflation von offiziell drei Prozent, dann ist eine Inflation in doppelter Höhe des Wirtschaftswachstums, wie sie aus Russland berichtet wird, kein Anlass zu besonderer Sorge.

Die angekündigte Ruinierung Russlands durch die Sanktionen ist nicht so recht eingetreten. Eine Verödung des russischen IT-Sektors, die westliche Experten gern als Folge der Sanktionen an die Wand malen, weil russische Informatiker aus Furcht vor dem Einzug zum Militär nach Armenien oder Estland abwanderten, scheint derzeit wenig plausibel. Es hat die Branche offenbar nicht vor größere Probleme gestellt, dass russische IT-Firmen ihren Entwicklern nun höhere Gehälter anbieten müssen. Wird von der Kriegsfront in der Ukraine alle paar Monate eine neue Generation russischer Drohnen gemeldet, zeugt das eher vom Gegenteil. Irgendjemand muss ja in Russland die entsprechende Software geschrieben haben.

In der Wirtschaftslage spiegeln sich einerseits einige Basiseffekte. Die Arbeitslosigkeit sinkt, wenn Hunderttausende männliche Arbeitskräfte im Krieg sind. Sie dürfte auch niedrig bleiben, kehren die Gefallenen doch nicht mehr zurück. Erhöht der Staat die Rüstungsausgaben auf offiziell sechs Prozent des Sozialprodukts, erzeugt das zwangsläufig gesamtwirtschaftliche Nachfrage und generiert Wachstum in den Sektoren, die diese Rüstungsgüter herstellen. Dass neue Panzer oder Kampfdrohnen von der Gebrauchswertseite her niemandem nützen als dem Staat, der sie im Krieg einsetzt, ist vom Standpunkt der Volkswirtschaft dabei egal. Sie werden hergestellt und bezahlt, und damit tragen sie zu der Größe bei, die sich in der Statistik als Wachstum widerspiegelt. Man spricht hier von einem Kriegskeynesianismus.

Entscheidender ist, aus welchen Quellen diese staatliche Nachfrage bezahlt wird: aus laufenden Einnahmen, Schulden oder Rücklagen. Russland fährt hier seit Jahren eine konservative Strategie. Seit ungefähr 2010 wurden strategische Reserven angelegt, die zu Kriegsbeginn auf etwa 650 Milliarden US-Dollar beziffert wurden. Ein Teil davon ist zwar auf westlichen Konten eingefroren, aber eben nicht alles.

Zudem ist Russlands Wirtschaft zwar von Rohstoffexporten abhängig, aber es sind Rohstoffe, an denen allgemeiner Bedarf besteht. Es ist wenig erstaunlich, dass Russland seine Position als einer der größten Ölexporteure der Welt behaupten konnte; die Steigerung seiner Ölausfuhren in asiatische Länder – nach Indien haben sie sich seit Kriegsbeginn verzehnfacht – wiegt den eingebrochenen Direktexport in die EU mehr als auf, zumal die neuerdings russisches Öl auf dem Umweg über Indien bezieht.

Nebenvorteil für Russland: Seine Rohstoffausfuhren bedienen ein bestehendes öl- und gasbasiertes Wirtschaftssystem, das nur am Laufen gehalten werden muss. Das unterscheidet seine Ausgangslage vorteilhaft von der des Westens, der gleichzeitig den Krieg in der Ukraine und die mit der Umstellung auf eine neue Energiegrundlage der Volkswirtschaft verbundenen Anfangsinvestitionen finanzieren muss.

Wenn westliche Experten sich die Wirkung der Sanktionen auch mit dem Argument schönreden, Russland verliere durch die Konzentration auf den Rüstungssektor an ziviler Innovationskraft – eindeutig ist das nicht. Rüstungsgüter sind heute mehr als zuvor Hightechprodukte. Zumindest potentiell kann diese Hochtechnologie auch zivil genutzt werden: Wenn die Elektronik deutscher Spülmaschinen angeblich ausgeschlachtet wird, um Kampfdrohnen zu produzieren, dann geht das auch umgekehrt. Zumal Russland unter dem Druck der Sanktionen hat lernen müssen, auf Eigenentwicklungen zu setzen, statt sich mit leicht verdienten Petrodollars auf Einkaufstour im Westen begeben zu können. Zwischenbilanz: Ein westlicher Sieg im Wirtschaftskrieg gegen Russland sieht anders aus.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (13. Februar 2024 um 12:18 Uhr)
    Das Argument mit dem Ausschlachten von weißer Ware der Chips wegen war schon immer ziemlich schwach. Erstens halte ich es für fraglich, welchen Nutzen z. B. ASIC (Anwendungsspezifische integrierte Schaltkreise) aus Waschmaschinen in der Raketensteuerung haben sollen. Allerhöchstens könnten Mikrocontroller, weil programmierbar, nutzbar sein. Nur dann zieht die Argumentation schon viel weniger, denn die werden nicht in hochmodernen 5-Nanometer-Prozessen gefertigt, sondern liegen im zwei- bis dreistelligen Nanometerbereich. Das ist eher Traktorentechnologie, die quasi jeder herstellen kann; das Know-How und die Technik dazu ist uralt, gemessen an der Entwicklungsgeschwindigkeit der Elektronikbranche. Für primitive Steuerungen, wie z.B. die von Raketenleitwerken, reicht ggf. auch Dinosaurier-Tech aus den 1980ern, schließlich fliegen Airbus-Flugzeuge schon ewig per Fly-by-Wire. Desweiteren kam beim Militär noch nie der »heiße Scheiß« zum Einsatz, sondern relativ alte, gut abgehangene Technologie. Im Eurofighter steckt auch Technologie aus den 1990ern – hieß schließlich mal Jäger 90. Diese herzustellen, ist jede halbwegs industrialisierte Volkswirtschaft in der Lage. Und die modernen Suchoi-Kampfjets sind, was die Flugleistungen betrifft, dem Eurofighter mindestens ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen, weil jünger. Ergo hatte Russland nie ein Problem seine Rüstungsindustrie mit den benötigten elektronischen Bauteilen zu versorgen – außer vielleicht logistische.

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