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Aus: Ausgabe vom 13.02.2024, Seite 8 / Ausland
Nordirland

»Die neue Regierung wird nicht lange halten«

Nordirland: Über das Ende der Regierungskrise und die erste republikanische Regierungschefin. Ein Gespräch mit Gerry Carroll
Interview: Dieter Reinisch
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Händeschütteln mit London: Michelle O’Neill (l.) trifft den britischen Premierminister Rishi Sunak (r.) in Belfast (5.2.2024)

Zwei Jahre lang hat die wichtigste protestantische Partei, Democratic Unionist Party, DUP, die Regierungsbildung in Nordirland boykottiert. Nun hat sie ihren Widerstand aufgegeben. Das Regionalparlament »Stormont« tagte am 3. Februar zum ersten Mal nach der Pause. Wie fühlte sich das an?

Die Stimmung war eher zeremoniell, bei den anderen Parteien klopfte man sich gegenseitig auf die Schultern. Wir haben als einzige sozialistische Stimme im Parlament eine wichtige Aufgabe. Wir jubeln nicht, erkennen aber an, dass wir nun wieder die Möglichkeit haben, unseren Forderungen, die im Sinne der Arbeiterklasse sind, Gehör zu verschaffen und die Minister herauszufordern. In Stormont hat man den Arbeitern stets das Leben erschwert. Daher haben wir keine großen Hoffnungen, dass die neue Regierung Verbesserungen bringen wird.

Warum hat die DUP ihre Blockade aufgegeben?

Am 17. Januar hatten rund 170.000 Angestellte im öffentlichen Dienst gestreikt. Das hat die unionistische DUP zum Wiedereintritt in die Regierung gezwungen. Meine Partei, die People Before Profit, PBP, sieht ihre Aufgabe im Parlament darin, diesen Arbeitskämpfen eine Stimme zu geben.

Erstmals gibt es mit Michelle O’Neill von der Sinn Féin, SF, eine republikanische und römisch-katholische Regierungschefin in Nordirland. Die Partei strebt die Vereinigung mit Irland an. Was erwarten Sie von der neuen Regierung?

Die neue Regierung wird die Tagespolitik nicht in unserem Sinne beeinflussen. Ich gehe auch nicht davon aus, dass sie lange halten wird. Vielleicht ein Jahr oder nur ein paar Monate. Die SF hat zuletzt die meisten ihrer linken Versprechen fallengelassen. Trotz der historischen Entwicklungen mit einer republikanischen Partei an der Macht bleiben wir skeptisch.

Was können Sie denn als einzelner Abgeordneter Ihrer Partei erreichen?

Ich bin nicht naiv, die sozialdemokratisch-nationalistische SDLP ist die offizielle Opposition. Wir wollen O’Neill dazu bringen, am St.-Patricks-Day nicht ins Weiße Haus zu gehen, solange der Genozid in Gaza weitergeht. Daneben wollen wir für die Ausweitung von Arbeits- und Streikrechten eintreten. Das können wir nur erreichen, wenn wir auf der Straße Proteste organisieren.

Die letzten Wahlen in Nordirland sind für Ihre Partei nicht ideal verlaufen. Sie konnten keine weiteren Sitze gewinnen.

Wir wussten, dass es schwierig werden würde. Die Wahlen 2016 waren unser Durchbruch, zuletzt gab es Rückschläge. Durch den Boykott des Parlaments wurden die kleinen Parteien aufgerieben. Andererseits sind Wahlen für uns zwar wichtig, unser übergeordnetes Ziel ist aber, eine sozialistische Bewegung aufzubauen.

Was sind die wichtigsten Aufgaben der kommenden Legislaturperiode?

Wirtschaftlich gibt es viel zu tun. Das Abkommen über drei Milliarden Pfund Sterling, das die Regierungsbildung möglich gemacht hat, klingt zwar gut, kommt aber mit sehr vielen Auflagen aus London. Es enthält unter anderem die Forderung, Arbeiterrechte zu unterminieren. Daneben sollen Gebühren für Medikamente eingeführt werden und Personen über 65 Jahre sollen künftig im öffentlichen Nahverkehr zahlen. Aktuell gibt es großen Druck auf die Gewerkschaften, ihre Arbeitskämpfe zu beenden. Das werden wir nicht hinnehmen! Wenn es weitere Angriffe auf die Arbeiter gibt und die Lohnerhöhungen unter der Teuerungsrate bleiben, wird die Euphorie über die Regierungsbildung schnell verfliegen.

Bereits 1990 hat die Fernsehserie »Star Trek: The Next Generation« vorausgesagt, dass 2024 Irland seine Wiedervereinigung erlangen wird. Werden die Macher Recht behalten?

Wahrscheinlich nicht in diesem Jahr, aber hoffentlich sehr bald. Wir wollen die Debatte darüber vorantreiben und die Wiedervereinigung mit sozialen und ökonomischen Fragen verbinden. Es ist unser Ziel, die Politik des irischen marxistischen Gewerkschafters James Connolly in einem modernen Sinn umzusetzen.

Gerry Carroll ist seit 2016 Abgeordneter der Partei »People Before Profit« (PBP) für das republikanische Wohngebiet Westbelfast

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