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Aus: Ausgabe vom 13.02.2024, Seite 1 / Titel
Militarisierung

Schaufeln für den Sieg

Scholz und Pistorius zum Spatenstich für neue Rheinmetall-Munitionsfabrik in Unterlüß
Von Philip Tassev
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Totengräber am Werk: Rheinmetall-CEO Papperger, Dänemarks Ministerpräsidentin Frederiksen, Bundeskanzler Scholz und Verteidigungsminister Pistorius beim Spatenstich in Unterlüß in der Lüneburger Heide

Es herrscht Goldgräberstimmung beim Rüstungskonzern Rheinmetall, denn das Waffengeschäft boomt. Ein Grund dafür ist der enorme Munitionshunger der ukrainischen Armee. Den hatten Militärexperten kürzlich auf mindestens 5.000 Artilleriegranaten pro Tag oder 1,8 Millionen pro Jahr beziffert. Größter Engpass sei dabei das Schießpulver, erklärte Rheinmetall-Chef Armin Papperger in einem am Montag erschienenen Interview mit dem Handelsblatt. Der Konzern strebe deshalb an, die Kapazitäten in dem Bereich »an einzelnen Standorten zu verdoppeln oder sogar zu verdreifachen«. Ab 2025 soll Rheinmetall so »bis zu 700.000 Artilleriegeschosse pro Jahr produzieren können«. Ein solcher Standort ist das Werk im Örtchen Unterlüß im Celler Land. Am Montag reisten Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) an, um gemeinsam mit Papperger den symbolischen ersten Spatenstich zur Erweiterung der Munitionsfabrik in dem 3.500-Seelen-Dorf in der südlichen Lüneburger Heide zu setzen. Dort sollen jährlich 200.000 Artilleriegranaten vom NATO-Standardkaliber 155 Millimeter produziert werden. Scholz sprach von einem »besonderen Tag« für die »Sicherheit unseres Landes und ganz Europas«. Das Werk schaffe »die Grundlage dafür, die Bundeswehr und unsere Partner in Europa eigenständig und vor allem dauerhaft mit Artilleriemunition zu versorgen«. Das sei »dringend erforderlich«, denn »wir leben nicht in Friedenszeiten«.

Unterlüß und das Celler Land haben dabei eine unrühmliche Geschichte: »Die Region zwischen Celle und Munster, Unterlüß und Bad Fallingbostel ist das am stärksten militarisierte Gebiet in Deutschland«, heißt es in dem Begleitheft zu der Ausstellung »Zwangsarbeit bei Rheinmetall« der antimilitaristischen Initiative »Rheinmetall entwaffnen«. Die »Rheinische Metallwaaren- und Maschinenfabrik Actiengesellschaft«, kurz Rheinmetall, ist hier seit 1899 präsent. Schon in den letzten beiden Weltkriegen wurden hier im großen Stil Waffen und vor allem Munition hergestellt. Die Arbeitskräfte dafür stellte während der faschistischen Herrschaft die SS zur Verfügung: Etwa 5.000 Zwangsarbeiter aus ganz Europa mussten in den Fabriken in und um Unterlüß schuften, ein Großteil von ihnen direkt oder indirekt für Rheinmetall-Borsig, wie der Konzern zwischen 1936 und 1956 hieß. In der nahegelegenen Raketenversuchsanstalt Trauen wurde für die in der Nazipropaganda als V2 bezeichnete Boden-Boden-Rakete geforscht. Noch heute befindet sich hier der Raketenteststand des »Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt« (DLR). Die Garnisonsstadt Munster ist einer der größten Standorte der Bundeswehr, der NATO-Truppenübungsplatz Bergen einer der größten Europas.

Es ist daher kein Zufall, wenn es in dieser Region immer wieder Proteste gegen Kriegs- und Aufrüstungspolitik gibt, wie etwa 2018 und 2019 die Sommercamps von »Rheinmetall entwaffnen« oder jetzt am Montag die Mahnwache der Friedensaktion Südheide vor der Einfahrt zum Rheinmetallwerk. Den Besuch von Kanzler Scholz nutzten auch Landwirte, die laut Polizeiangaben rund 300 Traktoren aufgefahren hatten, um gegen die Politik der Ampelregierung zu demonstrieren. Die Bauern seien zwar nicht Teil der Friedensbewegung, aber sie können rechnen – und sie wissen, dass jeder Euro, der für Militär und Rüstung ausgegeben wird, überall im Land, also auch bei ihnen fehlt, hieß es von seiten der Friedensaktion Südheide.

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  • Leserbrief von René Osselmann aus Magdeburg (14. Februar 2024 um 10:44 Uhr)
    Der Wahnsinn geht weiter und die Bundesregierung lässt sich dabei feiern, denn es gibt den ersten Spatenstich für eine Munitionsfabrik von Rheinmetall und der Bundeskanzler Scholz und sein Verteidigungs-Kriegsminister Pistorius sind natürlich gerne dabei! Ja, sind sie denn des Wahnsinns fette Beute oder was hat sie geritten, wenn sie sich feiern lassen, wenn ein Rüstungsunternehmen eine neue Munitionsfabrik baut? Aber wir wissen es ja, der Feind steht im Osten und nur mit mehr Stärke, Waffen und Militärpräsenz können wir den Frieden sichern, ich weiß zwar nicht welchen Frieden sie meinen … aber eventuell den ewigen Frieden? Nein, diese Welt braucht nicht mehr Waffen und Kriegstüchtigkeit, sondern mehr Verstand und Logik für Diplomatie und den Weg für Friedensverhandlungen!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (13. Februar 2024 um 12:54 Uhr)
    Wir brauchen den Frieden wie die Luft zum Atmen. Die deutsche Regierung aber schaufelt ihm, sich und uns fleißig das Grab. »Es wird schon nicht so schlimm kommen.« Das Rezept, das unseren Eltern und Großeltern einen riesigen Trümmerhaufen bescherte, ist auch heute untauglich, da es wieder fünf vor zwölf ist.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (13. Februar 2024 um 07:34 Uhr)
    Krieg ist ein schmutziges Geschäft, sagte schon 1935 General Major Smedley Butler (ehemaliger Angehöriger der US-Marines) – das Schmutzigste überhaupt, ergänze ich. Vor einem Jahr war die Rheinmetall-Aktie bei einem Börsenwert von 226,65 Euro, gestern wurde diese Mordsaktie bei 360,95 Euro geschlossen. In einem Forum auf Börsennews.de freuen sich die Anleger aktuell mit Sprüchen wie: »Schon 400 Euro diese Woche« oder »Ich habe Lockheed Martin und Northrop Grumman auch, aber Rheinmetall hat sich einfach am besten entwickelt«. Und wer zählt die Toten, die mit diesen Waffen »erzeugt« wurden? Gibt es dafür auch Dividende? Wer diese Firmen unterstützt, macht sich in vorderster Reihe mitschuldig am Tod Zehntausender Menschen nicht nur in der Ukraine. Und die verbalen »Ausrutscher« diverser Politikgranden des »Wertewestens« über Lithiumvorkommen im Donbass, über landwirtschaftliche Produkte aus der Schwarzerderegion der Ukraine, die wir billig benötigen usw. zeigen doch, dass Marx und Lenin recht hatten: Jeder Krieg, den imperialistische Staaten vom Zaune brechen, zielt auf die Rohstoffe und Ressourcen, die der kriegführende Staat nicht oder nicht ausreichend hat. Man kann es auch kürzer schreiben bzw. sagen: »Uns fehlt Lebensraum.« Und der Kanonen-Roderich von der CDU will das »Sondervermögen« der Bundeswehr mindestens verdreifachen. Merken die noch was? Wer soll das bezahlen? Ach so ja, die Renten sind ja zu hoch, das Bürgergeld muss (wieder) gekürzt werden, andere Sozialleistungen fallen dem militärischen Rotstift zum Opfer. Bürgerinnen und Bürger wissen nicht mehr, wie sie die explodierenden Lebenshaltungskosten stemmen sollen. Aber Papperger und seine Vorstände, Frau Marie-Agnes Strack-Rheinmetall, Panzer-Toni, Haubitzen-Micha und die anderen Rüstungslobbyisten lassen die Champagnerkorken knallen. Alle diese machen sich mitschuldig an dem Elend und dem Tod vieler Tausend Menschen. Statt die Schaufel in die Lüneburger Heide zu rammen, sollten die eher Gräber schaufeln.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (12. Februar 2024 um 23:33 Uhr)
    Der Engpass beim Schießpulver lässt sich doch sicher beheben. Die Chinesen kannten das Pulver bereits im 12. Jahrhundert. Also mal in China nachfragen! Und über die »Neue Seidenstraße« lässt sich dieser Friedensstoff zuverlässig direkt bis in den Duisburger Hafen liefern. Für die Sicherung des Friedens und die Verteidigung unserer »Werte« (der einzigen und ewigen auf diesem Planeten und im All) kann man auch schon mal »über den eigenen Schatten springen« – vor dem finalen Sprung ins europäische Massengrab, das ja bereits zielstrebig und mit suizidaler Wollust geschaufelt wird.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Günter S. (12. Februar 2024 um 20:58 Uhr)
    Schönes Bild. Kann man das auch als Plakat, Flyer … drucken, vielleicht mit der Aufschrift »Die Totengräber«?

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