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Aus: Ausgabe vom 12.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Rock

Der Siebziger-Hengst

Unsung Heroes (19): Prinzip
Von Frank Schäfer
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»Lasst es uns doch PRINZIP nennen«

Die DDR-Musik geht ziemlich steil in den Siebzigern. Weil die Uve Schikora Combo sich zu sehr ins Schlagerfach verirrt, gründet Gitarrist Jürgen Matkowitz 1973 seine eigene Band, die sich von Anfang an dem bluesgetränkten Hard Rock des Klassenfeindes verschreibt. Den Schlagzeuger Reinhard Miehatsch nimmt er gleich mit, und von ihm stammt angeblich auch der Name. »Mensch, wir sind aus Prinzip bei Schikora ausgestiegen«, soll er gesagt haben, »lasst es uns doch PRINZIP nennen.« Von der gerade eben wegen Fankrawallen aufgelösten, auch nicht gerade zimperlichen Bürkholz-Formation kommt Bassist Frank Czerny. Sie beginnen als Powertrio und machen ziemlichen Radau mit Coversongs von Steppenwolf, Golden Earring und Jimi Hendrix, arbeiten aber auch bald an eigenem Material. Bereits 1975 erscheint die erste Single mit dem Rumpelrocker »Beschwerde«, und für den Rundfunk nimmt man eine ziemlich mau produzierte Version ihres späteren Bandklassikers »Sieben Meter Seidenband« auf, die trotz des Grottensounds Platz fünf der DDR-Jahreshitparade belegt.

Mit neuem Schlagzeuger Klaus Scharfschwerdt und Keyboarder Rainer Kirchmann spielen sie 1978 ihr Debütalbum »Feuer-Rock« ein. »Kirchmann konnte gut singen«, erinnert sich Matkowitz im Interview mit deutsche-mugge.de. »Darüber hinaus war ein gewisser Druck vom Rundfunk und der Plattenfirma da, die sagten: ›Ihr seid zu hart! Macht eure Musik ein bisschen weicher, sonst können wir euch nicht mehr produzieren.‹« Jetzt beginnt auch ihre erfolgreichste Zeit. Sie mischen bei den DT-64-Jugendkonzerten, den Jugendtanzabenden im Palast der Republik und auch bei den jährlichen Rock-für-den-Frieden-Festivals an vorderster Front mit. Prinzip sind live eine gut geölte Maschine und auch optisch ein Ereignis, sie pimpen ihre Shows mit einer spektakulären Light- und Laser-Show auf.

Aber auch im Studio haben sie ihre Momente. Matkowitz weiß seine knusprige Stratocaster in Szene zu setzen und harmoniert gut mit seinem Keyboarder. Wenn die beiden in der brillanten Up-Tempo-Nummer »Feuer-Rock« ihre zweistimmigen Läufe abfeuern, dann soll man sich offenbar an Deep ­Purples »Highway Star« erinnert fühlen. Noch besser ist die zweite Fassung ihres Überhits »Sieben Meter Seidenband«, der im Solo erneut auf die Purple-Karte setzt und ein paar hübsche Twin-Lead-Phrasen vom Brett fegt, aber sonst auf eigenen Beinen stehen kann. Der Gesang klingt gewöhnungsbedürftig, ein richtiger Shouter ist auch Kirchmann nicht, doch das Kollektiv siegt – ihre ausgearbeiteten Chorsätze haben Verve und erinnern nicht ganz zufällig an Uriah Heep.

Die deutschen Texte von Jan Witte und Kurt Demmler sind hart dran an der Peinlichkeit, haben allerdings den Nachteil, dass man sie versteht. »Sieben Meter Seidenband / Zwischen deinem und meinem Land. / Mädchen, das geht nicht. / Alle Tage nur zu zwei’n / Und nicht einen Tag allein, / Mädchen, das geht nicht. / Immer nur an deinem Hals / Da vergeht mir das Gefall’n / Mädchen, das geht nicht. / Stellst du das nur vor / Dann vergiss, was ich dir schwor. / Mädchen, das geht nicht. / Sie müssen treu sein / Ob nah und fern, / Dann ich lieb sie lange, / Dann ich lieb sie gern.«

Der Rockstar nimmt sich Freiheiten heraus, die er seinen »Mädchen« nicht zubilligt. »Sie müssen treu sein«, während er seine Unabhängigkeit feiert. Das ist das übliche virile Getue, das man in anglo-amerikanischen Hard Rock-Texten in jenen Jahren ebenfalls zur Genüge findet. Also auch, wenn man emanzipatorisch schon weiter ist als in der Bundesrepublik, der Siebziger-Jahre-Hengst überspringt auch den antikapitalistischen Schutzwall mit Leichtigkeit. Zwei Jahr nach »Feuer-Rock« erscheint das zweite Album »Der Steher«, und der Titelsong beginnt gleich mal mit einem Plagiat des Riffs von Rainbows »Man on the Silver Mountain«, allerdings auf Speed. Matkowitz bleibt seinem Helden Ritchie Blackmore treu, und seine Schepper-Strat hat weiterhin das Sagen. Bis zur Auflösung im Jahr 1990 erscheinen noch zwei weitere Alben, »Wir reiten mit dem Sturm« (1983) und »Phönix« (1988), aber da laufen sie ihrer Zeit schon ein wenig hinterher. »Feuer-Rock« bleibt ihr Hard Rock-Manifest, das auch klanglich mit der westlichen Konkurrenz jederzeit mithalten kann.

Prinzip: »Feuer-Rock« (Amiga)

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