Überraschungssieg für Khan
Von Thomas BergerIn Pakistan gibt es nach den Wahlen vom Donnerstag und der verzögerten Auszählung zwar ein vorläufiges Ergebnis und einen eindeutigen Sieger – aber zugleich eine sehr unübersichtliche Lage. Bis endgültig klar ist, wer eine neue Regierung bilden wird, könnte es womöglich Wochen dauern. Die fortgesetzte politische Instabilität ist eine Last für die wirtschaftlich angeschlagene und von Gewalt erschütterte Atommacht. Gleich zwei Parteien leiten aus den bisher vorliegenden Resultaten der Abstimmung, zu der 128 Millionen der etwa 230 Millionen Einwohner aufgerufen waren, jeweils den Auftrag zur Regierungsbildung ab. Der Koalitionspoker hat über das Wochenende hinweg an Fahrt aufgenommen.
Noch während der Auszählung hatte bereits Nawaz Sharif den Sieg für seine konservative Pakistanische Muslimliga (PML-N) reklamiert. Diese Betrachtung funktioniert allerdings nur aus einer sehr formalen Perspektive: Die PML-N ist zwar momentan die Partei mit den meisten Mandaten (73 oder 74). Aber die zum Antreten als »Unabhängige« gezwungenen Mitglieder der zuvor von der Wahl disqualifizierten Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) seines Gegenspielers Imran Khan haben nach verschiedenen Quellen 98 bis 102 der 256 direkt vergebenen Mandate geholt und können somit überraschend als der eigentliche Wahlsieger gelten. Weitere 54 Sitze gingen an die Pakistanische Volkspartei (PPP). Eine wichtige Rolle als Mehrheitsbeschafferin könnte mit 17 Mandaten auch die Vereinigte Qaumi-Bewegung (englische Abkürzung: MQM) spielen, traditionell die Interessenvertretung der auf indischem Boden geborenen Pakistanis.
Auch der populäre Khan, der Wahlsieger von 2018, danach Premier bis zum Sturz 2022 und zuletzt unter fragwürdigen Umständen zu mehr als 30 Jahren Haft verurteilt und selbst von der Kandidatur ausgeschlossen, hatte umgehend den Sieg der aus der PTI stammenden Unabhängigen gewürdigt. In einer Botschaft aus dem Gefängnis heraus dankte er für dieses deutliche Mandat entgegen allen von Gerichten und Behörden verursachten Widrigkeiten. Die Partei wolle sich die Wahl nun aber nicht sozusagen im nachhinein noch stehlen lassen, heißt es aus Führungskreisen. Die Zahl von 170 Mandaten, die namhafte Mitglieder immer wieder öffentlich ins Spiel brachten, kann Außenstehende aufgrund des pakistanischen Wahlsystems verwirren. Denn theoretisch eingerechnet sind dabei schon jene 70 zusätzlichen Sitze, die der führenden Partei zustehen. Die Betonung liegt dabei auf Partei – derzeit werden die PTI-Mitglieder eben nur als Einzelpersonen gezählt. Maximal drei Tage nach dem endgültigen Wahlergebnis müssten sie einen Parteieintritt erklären, um als Block mit Anspruch auf die Zusatzsitze gezählt zu werden.
Nawaz Sharif, der bereits dreimal Regierungschef war und der in Pakistan einflussreichsten Politikerfamilie vorsteht (Bruder Shehbaz, dessen Sohn Hamza sowie Nawaz’ Tochter Maryam sind allesamt Abgeordnete), hatte schon am Sonnabend von Koalitionsverhandlungen insbesondere mit der PPP gesprochen. Er würde gern – wohl erweitert um die MQM – im Kern das gleiche Bündnis wiederauflegen, das nach der Absetzung Khans 2022 bereits 18 Monate regiert hatte. Die drittplazierte Volkspartei, die ihrerseits der Bhutto-Zardari-Familie als Plattform dient und die noch im Wahlkampf die PML-N zum neuen Hauptgegner erklärt hatte, hielt sich zunächst bedeckt – vor allem Parteichef und Exaußenminister Bilawal Bhutto-Zardari. Am Sonntag räumte die Partei dann ein, dass es am Vortag schon Vorgespräche zwischen dessen Vater, Expräsident Asif Ali Zardari, und Nawaz Sharif gegeben habe – am Montag will die PPP-Führung tagen. Es geht über die nationale Ebene hinaus auch um Bündnisse in den Provinzen Sindh (PPP-Bastion), Punjab (PML-N und PTI fast gleichauf) und Belutschistan. Nur Khans Heimatregion Khyber-Pakhtunkwa fiel überdeutlich an Unabhängige aus den Reihen der PTI.
Derweil übten internationale Beobachter des Free and Fair Election Networks (FAFEN) am Sonnabend Kritik an der Durchführung der Abstimmung. Über das Ergebnis in mindestens zehn Wahlkreisen müssen Gerichte entscheiden. AM Sonntag gab es erste Proteste gegen Wahlbetrug.
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