4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 10.02.2024, Seite 6 / Ausland
Konflikt mit Russland

Putin-Phobie in Dublin

Irland bindet sich an NATO aus Gründen der Infrastruktursicherung
Von Dieter Reinisch
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Führt das traditionell neutrale Irland an die Seite der NATO: Premier Varadkar zu Besuch in Kiew (19.7.2023)

Das »neutrale« Irland hat einen Vertrag mit dem transatlantischen Militärbündnis NATO geschlossen, berichtete die Irish Times (IT) am Freitag. Das Land soll dadurch einfacher NATO-Ressourcen nutzen können. Besonders der Austausch von Geheimdienstinformationen werde mit dem Vertrag erleichtert. Ziel sei die bessere Koordinierung der »Abwehr eines möglichen Angriffs durch Russland«, schreibt IT.

Der öffentlich-rechtliche Sender RTÉ berichtete, dass es sich um ein deutlicheres Abkommen zwischen NATO und Irland »zum Schutz der Unterseeinfrastruktur« handle, das bisherige Verträge ersetze. Irlands Neutralität wurde in der ersten Verfassung nach der Unabhängigkeit von der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien 1922 festgeschrieben.

1999 trat die Republik der NATO-geführten Partnerschaft für den Frieden bei. In den letzten 25 Jahren hat sich die Kooperation zwischen dem Militärbündnis und Irland zusehends verstärkt. Der unabhängige Abgeordnete für Südkildare, Cathal Berry, selbst ein ehemaliger Soldat, bezeichnete den neuen Vertrag im Interview mit RTÉ am Freitag morgen als »natürliche Vertiefung der Zusammenarbeit«: »Wir haben im Meer drei Gaspipelines, Elektrizitätskabel, rund ein Dutzend Glasfaser- und andere Datenkabel liegen«, erklärte er. »Das ist kritische Infrastruktur, und derzeit ist sie in einem gefährdeten Zustand aufgrund der prekären Situation unserer eigenen Streitkräfte.«

Auf die Frage, ob er glaube, dass Irland von Russland und seinem Präsidenten Wladimir Putin bedroht sei, sagte er: »Ja, absolut. (…) Als Insel sind wir besonders bedroht.« Auch engere Zusammenarbeit in der Cyberabwehr wird durch das Abkommen abgedeckt. Die Regierung besteht darauf, dass dies aber kein Schritt in Richtung einer Vollmitgliedschaft im Kriegsbündnis sei.

Erst vergangene Woche hatte der einflussreiche konservative britische Thinktank Policy Exchange Irland in einem Bericht beschuldigt, sich von der NATO »abgewandt« zu haben und somit als »Hintertür für russische, chinesische und iranische Akteure die Sicherheit des Vereinigten Königreichs zu bedrohen«. Im Vorwort zu dem Report schrieben zwei ehemalige britische Verteidigungsminister: »Die Republik (Irland) spielt in der europäischen Verteidigungskooperation nur eine sehr geringe Rolle. Ihre Streitkräfte, insbesondere die Seestreitkräfte, müssen rasch verstärkt werden, um sich gegen die heutigen Bedrohungen verteidigen zu können.«

In welchen Bereichen die Kooperation mit der NATO stattfinden soll, unterliege der Geheimhaltung, wie IT am Freitag hervorhob. »Es wird jedoch davon ausgegangen, dass sie Cybersicherheit, den Schutz kritischer Infrastruktur und die Verbesserung der maritimen Sicherheit umfasst«, schrieb der Journalist Conor Gallagher. Es ist davon auszugehen, dass die militärische und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit darüber hinausgehen wird.

Ein Hauptschwerpunkt des Abkommens liege auf der Bekämpfung hybrider Bedrohungen wie Wahleinmischung und Desinformationskampagnen, die möglicherweise »von feindlichen Akteuren wie Russland« ausgehen. Das Abkommen konzentriert sich daher auch auf nichtmilitärische Bereiche der Zusammenarbeit, darunter der Aufbau ziviler Widerstandsfähigkeit, indem beispielsweise die Öffentlichkeit darüber aufgeklärt wird, was im Falle einer größeren Katastrophe zu tun ist.

Das neue Abkommen bedeutet eine weitere Aufweichung der Neutralität Irlands. Vergangenes Jahr hatte die Regierung beschlossen, für die nächsten zwei Jahre fast 200 Soldaten in die EU Battlegroup zu entsenden. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte gegenüber IT, die Regierung habe »keine Pläne«, der NATO beizutreten, und das neue Abkommen sei »von Partnern geleitet und völlig freiwilliger Natur«.

Der linkssozialistische Abgeordnete Paul Murphy (People Before Profit) kritisierte, dass die Unterzeichnung vor Bevölkerung und Parlament geheimgehalten worden sei: »Die Regierung unterzeichnete ein neues Abkommen mit der NATO. Dies wurde dem Parlament nicht zur Abstimmung vorgelegt.« Und weiter: »Die NATO-Mitglieder unterstützen den israelischen Völkermord in Gaza. (…) Dies ist ein weiterer Angriff auf die Neutralität«, so Murphy auf X.

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