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Aus: Ausgabe vom 09.02.2024, Seite 15 / Feminismus
EU-Richtlinie Frauen

Erhebliche Lücke

EU einigt sich auf neue Richtlinie zum Schutz von Frauen. Doch eine Definition von Vergewaltigung fehlt
Von Mawuena Martens
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Mit Namen von Gewaltopfern demonstrieren Frauen gegen Gewalt an Frauen (Madrid, 25.11.2023)

Nur »Ja heißt ja« oder doch eher nur »Nein heißt nein«? In der Frage, wie eine Vergewaltigung zu definieren ist, waren sich die EU-Vertreter bis zum Schluss uneinig. Und so enthält die am Dienstag von EU-Parlament und -Mitgliedstaaten gefundene Einigung über die Richtlinie zur Gewalt gegen Frauen keine eindeutige Definition von Vergewaltigung. Ein bezeichnendes Manko bei der ansonsten als Novum geltenden Vorlage.

FDP-Justizminister Marco Buschmann zeigte sich ob der Einigung zufrieden, da sie EU-weite einheitliche Regelungen zu Kriminalisierung von Genitalverstümmelungen, Zwangsehen und nicht einvernehmlichen Veröffentlichungen intimer Bilder vorsehe. Was das Fehlen einer entsprechenden Gesetzgebung zu Vergewaltigungen angehe, machte Buschmann geltend, dass er als Justizminister keine Vorschrift unterstützen könne, die »offenkundig rechtswidrig wäre«. Denn die EU würde aus seiner Sicht mit einer einheitlichen Regelung in dieser Frage ihre Kompetenzen überschreiten. Entsprechend unzufrieden zeigte sich der Deutsche Frauenrat: »Die Entscheidung des EU-Rats, die Aufnahme von Vergewaltigung in die Richtlinie abzulehnen, ist empörend.«

Mit der Einigung ohne Vergewaltigungsdefinition bleibt der Flickenteppich in der EU bestehen: In elf Mitgliedstaaten reicht ein »Nein« weiter nicht aus, um den Tatbestand der Vergewaltigung zu erfüllen. Besonders in osteuropäischen Ländern, aber auch in Italien oder Frankreich muss Gewalt angewandt werden oder das Opfer Widerstand leisten, damit rechtlich eine Vergewaltigung vorliegt. Auch in Deutschland gibt es seit 2016 ein Vergewaltigungsgesetz. Es regelt, dass bestraft wird, wer »gegen den erkennbaren Willen« einer Person handelt. Dahingegen gilt in Ländern wie Schweden, Dänemark, Kroatien oder Slowenien: Nur »Ja heißt ja«. Dies bedeutet, dass Sexualpartner eindeutig einwilligen müssen, bevor sie zur Tat schreiten.

Dass sich die Ja-Regelung nicht durchgesetzt hat, ist auf den Widerstand von Deutschland und Frankreich zurückzuführen. Zuerst drohte sogar das ganze Vorhaben zu scheitern. Etliche Frauen unterschrieben daher einen offenen Brief, in dem sie die Bundesregierung und Minister Buschmann zum Umlenken aufforderten: »Wir bitten Sie dringend, Ihre Blockadehaltung zu Artikel 5 (Vergewaltigungsstraftatbestand) für einen umfassenden und zugleich effektiven und durchsetzbaren Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt in allen EU-Mitgliedstaaten aufzugeben. Mit dieser Blockadehaltung steht der Schutz von Millionen Frauen vor Gewalt in der EU auf dem Spiel.«

Die Zeitschrift Emma wertet die letztlich erfolgte Einigung daher als Teilerfolg. Sie legt jedoch nahe, dass Justizminister Buschmann sich auch deswegen querstellte, weil Deutschland sein »Nein-heißt-nein-Gesetz« in ein »Nur-ja-heißt-ja-Gesetz« hätte umwandeln müssen. Familienministerin Elisabeth Paus (Grüne) unterstützte im Unterschied zu Buschmann die Initiative von Anfang an. Sie begrüßte die gefundene Einigung am Ende dennoch als Erfolg.

Der ausgehandelte Gesetzesvorschlag beinhaltet nun auch verbesserte Verfahren für die Sicherheit und Gesundheit von Opfern unter Berücksichtigung intersektioneller Diskriminierung und eines vereinfachten Zugangs zur Gesundheitsversorgung, einschließlich sexueller und reproduktiver Gesundheitsdienste. Auch soll das Gesetz Opfern den Zugang zur Justiz erleichtern und die Mitgliedstaaten verpflichten, ein angemessenes Niveau an speziellem Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Beweisführung soll ebenfalls besser reglementiert werden. Offiziell müssen EU-Parlament und Mitgliedstaaten noch über die Vorlage abstimmen. Dies gilt jedoch als Formsache.

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