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Aus: Ausgabe vom 08.02.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Personalmangel in der Pflege

Bundesrat gegen Leiharbeit

Länder wollen Leiharbeit in der Pflege begrenzen. Denn dort sind Leasingkräfte teuer und eine zusätzliche Belastung für Stammbelegschaft
Von Gudrun Giese
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Das Resultat jahrelanger Personalnot und Überlastung: Pflegekräfte wechseln in die Leiharbeit

Leiharbeit geht oft mit schlechteren Arbeitsbedingungen und einer geringeren Entlohnung einher. Eine Ausnahme ist der Pflegebereich. Nach Vorstellungen des Bundesrates soll die Leiharbeit dort eingedämmt werden.

Am 2. Februar forderte die Länderkammer in einer Entschließung die Bundesregierung auf, ein »Gesetz zur Begrenzung der Leiharbeit in der Pflege auf den Weg zu bringen«. Initiiert von der bayerischen Gesundheits- und Pflegeministerin Judith Gerlach (CSU) hatte der Bundesrat nach Beratungen diesen Entschluss gefasst. Als Grund wird genannt, »dass der zunehmende Einsatz von Leiharbeit in der Pflege unerwünschte Folgen habe – sowohl für die Qualität der Versorgung der pflegebedürftigen Menschen als auch für die Arbeit der Stammbelegschaft«. Die Ländervertreter regen an, Stammbelegschaft und Leihpersonal stärker gleichzubehandeln, den Leiharbeitsfirmen die Mittel für die Pflegekräfte zu kürzen und sie an den Ausbildungskosten zu beteiligen. Schließlich sollen sogenannte Springerpools mehr Flexibilität beim Personaleinsatz ermöglichen.

Wichtiger wäre es wohl, die Gründe für die Abwanderung von Pflegekräften in die Leiharbeit ernsthaft anzugehen. Wer in Krankenhäusern und Altenheimen festangestellt ist, muss im Schichtdienst arbeiten, mit schlechtem Personalschlüssel und bei nicht gerade üppiger Bezahlung. Wer in eine Leiharbeitsfirma wechselt, kann sich den Arbeitsplatz aussuchen, muss weder in der Nacht noch am Wochenende arbeiten und bekommt deutlich mehr Geld. Die Gewerkschaft Verdi hat in einem Positionspapier auf der Webseite des Fachbereichs Gesundheit, Soziales, Bildung Verständnis für die individuelle Wechselentscheidung bekundet, »dass Pflegekräfte über die Leiharbeit bessere Bedingungen für sich herausholen wollen«.

Gleichzeitig sei die Zweiteilung der Belegschaft in Stamm- und Leihbeschäftigte für »die Versorgung der Patientinnen, Patienten und Pflegebedürftigen und für die Zusammenarbeit im Team (…) aber verheerend«. So fehle es angesichts der starken Überlastung an Einarbeitungszeit für die Leihkräfte. Die Stammbelegschaft werde zusätzlich belastet. Schließlich gehöre zur Wahrheit auch, »dass Leiharbeitsfirmen Gewinn machen wollen. Der speist sich aus unseren Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern, die für eine gute Pflege gedacht sind, nicht zur Gewinnmaximierung«.

Den Vorstoß des Bundesrates zur Begrenzung der Leiharbeit in der Pflege bewertete auch die Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerates, Irene Maier, zurückhaltend. »Das Wichtigste ist, attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen, insbesondere durch ausreichend Personal und belastbare Ausfallkonzepte«, erklärte sie am 1. Februar. Leiharbeit in der Pflege dürfe nicht zur Regel werden. Sie sei »auch Ausdruck der schwierigen Arbeitsbedingungen der beruflich Pflegenden.« Die von der bayerischen Gesundheitsministerin vorgeschlagenen Springerpools wären nur sinnvoll, wenn es insgesamt genügend festes Pflegepersonal gebe. Bei der angespannten Personalsituation in der Pflege sei das jedoch keine nachhaltige Lösung für Krankenhäuser und Altenheime. Sie schlug vor, Leiharbeit in diesem Bereich zu verbieten, wenn sich die Leiharbeitsunternehmen auf Kosten der Solidargemeinschaft bereicherten. Für den Einsatz von Leasingkräften müsse es klare Regeln geben, so Maier, nämlich eine Kostenbegrenzung, die Beteiligung der Firmen an den Ausbildungskosten, die Definition von Mindestqualifikationen sowie eine gleichwertige Bezahlung.

Mit diesen Vorschlägen liegt sie nicht allzu weit vom Entschlusspapier der Länderkammer entfernt. Offen bleibt dabei, woher die dringend benötigten Pflegekräfte kommen sollen. Nach wie vor wechseln viele Angehörige dieser Berufsgruppe in andere Sektoren oder reduzieren ihre Arbeitszeit. Und in Notaufnahmen und Operationssälen sind nach Erkenntnissen der Berliner Krankenhausgesellschaft vom Jahresanfang mittlerweile 25 Prozent der Pflegenden Leiharbeitskräfte. Die werden nicht ohne weiteres durch Festangestellte zu ersetzen sein.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (9. Februar 2024 um 01:50 Uhr)
    Wer hätte das gedacht, dass Leiharbeit mal die bessere (!) Stellung im Unternehmen ist. Schön auch die Wortwieseleien von Frau Maier: »gleichwertige Bezahlung« und so. Ist dieser »Deutsche Pflegerat« das Pendant zum Deutschen Bauernverband, welcher nur die Interessen der Konzerne vertritt und die kleinen Bauern vor den Bus schmeißt? Gleichwertig für wen, den Arbeitgeber der Festen? Das hieße dann aber, dass der Gewinn des Leiharbeitsunternehmens abzuziehen ist und somit die Leasingkräfte – tolle Wortschöpfung übrigens – schlechter gestellt sind, was laut AÜG nicht erlaubt ist. Gut, das Hintertürchen mit den »Tarifverträgen« gibt es noch, aber wenn der Arbeitsmarkt in diesem Segment ein Verkäufermarkt ist – Verkäufer sind die Pflegekräfte, nämlich ihrer Arbeitskraft -, wird man wohl kaum zu ihrem Nachteil so etwas zustande bringen. Auch kann man niemanden zwingen, einer Gewerkschaft beizutreten, die derlei Abschlüsse macht. Eher schon macht man sich selbständig, wie ein Bekannter von mir, der das seit Jahren praktiziert, und die Kasse klingelt. Er nimmt nur Aufträge zu ihm genehmen Konditionen an. Weil Mangel herrscht, können die Kunden (Pflegebetriebe, Kliniken) ja schlecht ablehnen – Verkäufermarkt eben. Das ist möglicherweise sogar für alle Seiten das bessere Modell gegenüber Leiharbeit, denn der Schmar…, ich meine Mittelsmann Leiharbeitsfirma fällt weg, und der Gewinn ist der Lohn der Pflegekraft. Somit könnten unterm Strich geringere Kosten für die Entleiher bzw. Kunden des Pflegepersonals herauskommen, allerdings höhere als bei den Festangestellten. Über kurz oder lang würden letztere aber auch besser bezahlt werden müssen, oder sie laufen eben weg. So ist das nun mal im real existierenden Kapitalismus – wie gut es tut, die Phrase mal so zu verwenden. Aber nein, wenn der Markt dann mal »falsch« regelt, muss man einschreiten. Kognitive Dissonanz allüberall.

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