Komfortable Lage
Von Reinhard LauterbachDass eine Wahl keine Wahl ist, wenn ein Präsident seit 21 Jahren herrscht und vor der Abstimmung kritische Journalisten und Oppositionspolitiker hat verhaften lassen, ist klar. Die Präsidentenwahl in Aserbaidschan ist ein Plebiszit, mit dem Staatschef Ilham Alijew seinen Bonus aus dem gewonnenen Krieg gegen Armenien und der Eroberung von Bergkarabach in Stimmen ummünzen will. Wenn Alijew das Vorziehen der Wahl damit begründet, dass er nach der »Vereinigung des Landes« einer »neuen Legitimität« bedürfe, ist daran wahr, was er über Wahlen generell aussagt: dass sie Akklamationsakte zu den bestehenden Verhältnissen sind. Wenn dann praktischerweise über 100.000 Leute, die mit Sicherheit nicht für ihn gestimmt hätten, das um Karabach erweiterte Staatsgebiet inzwischen verlassen haben, um so praktischer für Alijew.
Ilham Alijew kann sich diese Farce leisten, weil er in einer geopolitisch komfortablen Position agiert: Für die Türkei ist Aserbaidschan der Brückenkopf für deren geostrategische Interessen in Zentralasien. Deshalb hat sie das Land aufgerüstet und für den Sieg gegen Armenien fit gemacht. Russland muss ebenfalls um gute Beziehungen zu Baku bemüht sein; Aserbaidschan grenzt an die im Zeitalter von Sanktionen und Ukraine-Krieg wichtig gewordene Transportroute zwischen Russland und dem Iran und könnte diese notfalls jederzeit blockieren. Deshalb hat Russland seinen traditionellen Bündnispartner Armenien in der Auseinandersetzung mit Aserbaidschan allenfalls verbal unterstützt und faktisch fallengelassen. Mit der Folge, dass sich Armenien nun auf Unterstützer in Brüssel und Washington verlässt.
Der kollektive Westen hat in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls zu allen autoritären Tendenzen und der notorischen Korruption des aserbaidschanischen Staatssystems gute Miene gemacht. Er behandelt Aserbaidschan als das, was es ist: ein weiteres Ölscheichtum, dem man rechtsstaatliche Defizite ebenso nachsieht wie den anderen Staaten dieser Kategorie. Zumal sich mit der Oligarchie auch dieses Landes gute Geschäfte machen lassen und das Regime auch Geld genug hat und in die Hand nimmt, um die politische Landschaft in Berlin und Brüssel zu pflegen. Aserbaidschan ist nicht minder »autokratisch« organisiert als Russland, hat aber aus westlicher Sicht den großen Vorteil, nicht Russland zu sein. Und es ist dazu noch ein wichtiges Transitland für den westlichen Hunger auf die Ressourcen Zentralasiens, die bisher noch über das russische Leitungsnetz vermarktet werden. Soweit nicht China schneller ist mit dem Bau von Pipelines aus Kasachstan oder Turkmenistan. All dies sind politische Lebensversicherungen für den Sohn des letzten Parteichefs der aserbaidschanischen Sowjetrepublik. Clanwirtschaft nennt das niemand. Baku ist schließlich nicht Neukölln.
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Vor allem geht es um den vereinbarten quasi exterritorialen Transportkorridor von Aserbaidschan zu seiner Exklave Nachitschwan. Bakus Blockade der Transporte nach Bergkarabach war die Folge, womit diese armenische Exklave unhaltbar wurde. Ihre 120.000 Einwohner zogen die Flucht nach Armenien vor. Russische »Friedensbringer« schritten nicht ein.
Dazu hatten sie auch keinen Grund. Das von Russland dominierten Militaerbündnis mit seinen Garantien erstreckte sich so wenig auf diese Enklave wie etwa Artikel 5 des NATO-Statuts auf die Ukraine! Armenien selbst hat bisher m. W. nicht einen Quadratmeter seines Territoriums verloren! Mit der Westwärtswendung bringt die Paschinjan-Clique das Land aber in eine große existenzielle Gefahr! Daran ist jedenfalls nicht Moskau schuld!