junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Donnerstag, 2. Mai 2024, Nr. 102
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 07.02.2024, Seite 5 / Inland
InfraGO

Neubau auf null gekürzt

Deutsche Bahn streicht Infrastrukturprojekte zusammen. Übriggebliebene Gelder fließen in Bestand. Fahrgastverbände protestieren
Von Ralf Wurzbacher
Neue_Gleise_77495152.jpg
Ausbau am Ende: Mit den Haushaltskürzungen gibt es bei der Deutsche Bahn nur Sanierung des Schienenbestands

Die »Mission« der Deutsche Bahn-Infrastruktursparte Infra Go ist nach eigenen Angaben, »gemeinsam und aus einer Hand ein leistungsfähiges Schienennetz und attraktive Bahnhöfe zu schaffen, die auf ganzer Linie begeistern.« Von wegen. Kaum einen Monat nach Start der Infra Go sind die Verheißungen schon wieder Schnee von gestern. Statt das kaputtgewirtschaftete System mit Elan und viel Geld zukunftsfest zu machen, heißt die Zielstellung jetzt, irgendwie den weiteren Zerfall aufzuhalten. Wie aus einer DB-internen Aufstellung hervorgeht, streicht die Bahn ihre Aus- und Neubauprojekte praktisch auf null zusammen. Das verfügbare Geld soll demnach zum überwiegenden Teil in die Sanierung des Bestands fließen. Für Empörung sorgt dies bei Bahn- und Fahrgastverbänden.

Aus einer umfangreichen Streichliste hatte am vergangenen Freitag zuerst der Spiegel zitiert. Hintergrund sind drastische Kürzungen eigentlich fest eingeplanter Mittel im Bundeshaushalt 2024 sowie bei der mittelfristigen Finanzplanung der Ampelregierung. Der Bund hatte der Bahn bis 2027 ursprünglich rund 45 Milliarden Euro zusätzlich in Aussicht gestellt. Nach dem fatalen Karlsruher Haushaltsurteil bleiben davon bestenfalls noch 27 Milliarden Euro übrig. Im Etat fürs laufende Jahr sind lediglich noch 1,7 Milliarden Euro für Neubauvorhaben vorgesehen. »Das ist deutschlandweit, salopp gesagt, fast nichts«, äußerte sich der Geschäftsführer des Verbands Die Güterbahnen, Peter Westenberger, am Montag. »Allein das vier Mal kleinere Österreich baut sein Schienennetz mit 2,2 Milliarden Euro pro Jahr aus.« Als »nicht hinnehmbar«, bezeichnete am selben Tag der Fahrgastverband Pro Bahn den Planungsstopp. »Die Politik wiederholt das Szenario vergangener Jahrzehnte, in denen auf große Versprechen keine konsequente Umsetzung des Bahnausbaus folgt, sondern allenfalls Stillstand bei starkem Wachstum des Autoverkehrs.«

Vorerst nicht umsetzen will die Bahn eine ICE-Schnellverbindung zwischen Hannover und Hamburg oder einen Korridor für den Güterverkehr zwischen Uelzen und Halle. Vom Tisch soll auch eine Neubaustrecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim sein ebenso wie ein digitales Stellwerk der Hamburger S-Bahn und die Verlegung eines Bahnhofs in Brandenburg zur Anbindung des Tesla-Werks in Grünheide. Desgleichen soll die Realisierung eines »digitalen Knotens« im Tiefbahnhof »Stuttgart 21« auf der Kippe stehen. Dieser soll den störungsanfälligen Betrieb der städtischen S-Bahn verbessern und gilt als Prestigeprojekt der Bahn und von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Laut Spiegel hat dessen Parteifreund, Finanzminister Christian Lindner, Bedenken, weshalb die Pläne auf der Kippe stünden. Geld fehlt offenbar auch für eine direktere Anbindung des Tunnels unter dem Fehmarnbelt an Hamburg und Lübeck

Laut einem Schreiben des Infra-Go-Vorstands an den DB-Aufsichtsrat »bedurfte es einer kurzfristigen Priorisierung der Infrastrukturmaßnahmen«. Die DB-Führung erklärte ferner, grundsätzlich an allen Ausbauplänen festhalten zu wollen, den Fokus aber fürs erste auf den Bestand zu legen. »Die Bundesregierung hat sich entschieden, die Mobilitätswende in die Tonne zu treten«, bemerkte Carl Waßmuth, Sprecher von »Bahn für alle«, am Dienstag gegenüber jW. »Gestern 45 Milliarden Euro, heute 27 Milliarden Euro – und morgen? Die Ampel und Herr Wissing betreiben Politik nach Gutsherrenart, ohne Verstand und Konzept.« Sein Verband fordert, die Finanzierung der Schiene langfristig, auskömmlich und zuverlässig zu sichern. Dabei könnten kleine und mittlere Ausbaumaßnahmen schnell und günstig Flaschenhälse beseitigen, »im Gegensatz zu den blödsinnigen Großprojekten«.

»Weniger Geld für Unsinn«, das sei zunächst einmal eine gute Nachricht, sagte Journalist und DB-Kritiker Arno Luik am Dienstag zu jW. »Die versprochenen Unsummen sollten fast ausschließlich in unökologischen und unökonomischen Großbetonprojekten versenkt werden, in ICE-Rennstrecken auf Betonplatten mit extrem vielen Tunneln.« Dazu zähle etwa die »unverzeihliche Verlegung des Bahnhofs Altona nach Hamburg-Diebsteich« und »natürlich Stuttgart 21, das absurdeste Industrieprojekt Deutschlands«. Hier ließen sich laut Luik viele Milliarden Euro sparen, »zugunsten von Sanierungs- und Ausbauprojekten, die wirklich Sinn haben«.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Ähnliche:

Regio: