Staatsanwaltschaft glaubt an Einzeltäter
Von Karim NatourIm August 2018 erhält die Frankfurter NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız Todesdrohungen per Fax. Insgesamt 81 ähnliche Schreiben werden über einen Zeitraum von drei Jahren an verschiedene Personen in Deutschland verschickt. Sie alle sind mit »NSU 2.0« unterzeichnet, eine Anspielung auf die neonazistische Terrorzelle »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU), die mindestens neun Migranten und eine Polizistin ermordet hatte.
Im Zusammenhang mit den Drohbriefen ermittelte später die Frankfurter Staatsanwaltschaft, unter anderem wegen Bedrohung und der Verletzung von Dienstgeheimnissen, gegen zwei Polizisten des ersten Frankfurter Polizeireviers, von dem aus vor dem Drohbrief persönliche Daten von Başay-Yıldız aufgerufen worden waren. Zu einer Anklage gegen die beiden Polizisten Johannes S. und Miriam D. wird es nun jedoch nicht kommen. Das Verfahren wurde laut eines Sprechers der Staatsanwaltschaft bereits am 7. Dezember 2023 eingestellt, da »kein hinreichender Tatverdacht begründet werden konnte«, wie dpa am Montag berichtete.
Im November 2022 verurteilte das Frankfurter Landgericht in dem Fall den 54jährigen Alexander M. aus Berlin zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis. Der Angeklagte bestritt die Urheberschaft der Schreiben bis zuletzt. Das Gericht hingegen sah es als erwiesen an, dass M. die Briefe im Alleingang verschickt habe. Başay-Yıldız erklärte nach Prozessende, sie gehe nicht von einer Einzeltäterschaft aus, da unklar sei, wie ihre gesperrte Adresse zu dem aus Berlin stammenden Täter gelangt sei.
Die persönlichen Daten der Rechtsanwältin waren tatsächlich von einem Dienstcomputer im Revier von Johannes S. und Miriam D. abgefragt worden. Die Polizistin soll während der Datenabfrage auf dem Computer eingeloggt gewesen sein. Auf dem Handy von S. sollen Ermittler zudem Onlinesuchen nach »Yildiz in Frankfurt« sowie Filmzitate gefunden haben, die auch in »NSU 2.0«-Schreiben aufgetaucht seien, wie die Taz am Sonntag berichtete.
Im September 2023 machte dasselbe Revier Schlagzeilen, als im Kontext der Ermittlungen auf der Plattform »Frag den Staat« Protokolle einer internen Chatgruppe mit dem Namen »Itiotentreff« veröffentlicht wurden, in der sich Polizisten der betreffenden Dienststelle über Juden, Migranten und Behinderte lustig gemacht und Nazibilder verschickt hatten – unter ihnen Johannes S. und Miriam D. Die beiden Beamten sind suspendiert, erhalten jedoch weiterhin ihre Bezüge. Gegen die Mitglieder des Chats läuft zudem ein Verfahren wegen Volksverhetzung. Auch von weiteren polizeilichen Dienstcomputern in verschiedenen deutschen Städten waren Adressen von späteren Empfängern der »NSU 2.0«-Briefe abgefragt worden.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- 23.11.2022
Zurück in den Knast
- 18.11.2022
Angeblich im Alleingang
- 02.11.2022
Dreiste Verharmlosung
Mehr aus: Inland
-
Deutsche Wirtschaft schwächelt weiter
vom 06.02.2024 -
Gratismut im Kanzleramt
vom 06.02.2024 -
Bodenpersonal will streiken
vom 06.02.2024 -
Einigkeit bei Steuergeschenken
vom 06.02.2024 -
Parteigesicht des Tages: Mesut Özil
vom 06.02.2024