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Aus: Ausgabe vom 09.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Der mit den zementierten Verhältnissen tanzt

Toptrend Parteineugründung: Vorwärts mit der KPD!
Von Peter Köhler
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»Die Losung der kapitalistischen Partei lautet: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung!«

Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst neuer Parteien. Erst das Bündnis Sahra Wagenknecht, dann die Werteunion, und jetzt – aber lesen Sie selbst:

*

»Jeder ist seines Glückes Schmied!« steht in großen Lettern auf der Stellwand. »Freie Bahn dem Tüchtigen!« lautet die Überschrift auf den Broschüren, die an dem Stand auf dem Marktplatz von Hünfeld ausliegen. »Vorwärts mit der KPD!« lautet die Parole auf den Fähnchen, Ansteckern und Aufklebern, die Leo Meier an die Passanten verteilt.

Nicht wenige Bürger stutzen. Man sieht ihnen an, dass ihre Gedanken ins Stolpern geraten: Sind es leibhaftig Kommunisten, die diese erzkapitalistischen Losungen vertreten? Ist es so weit, dass nach den Grünen sogar eingefleischte Linke, bis auf die Knochen eingeschworene Marxisten sich anpassen? Hat die letzte ehrlich tickende Opposition im Lande ihren Geist aufgegeben? Leo Meier gibt stets die gleiche Antwort: »Nein.«

»Mit Kommunisten und Kommunismus haben wir furzgerade null am Hut«, erklärt der 49jährige entschieden. »Wir sind die KPD, die Kapitalistische Partei Deutschlands! Als ihr Vorsitzender«, fährt er fort, »kann ich Ihnen Stein auf Bein versichern, dass unser großes Fernziel die Errichtung der kapitalistischen Gesellschaft ist«.

Auf den naseweisen Einwand, dass diese nicht in der Zukunft lauert, sondern längst eine festgebackene Realität geworden ist, hat Meier nur gewartet. Als einer, der selbst viele Jahre in der CDU gewohnt hat, bevor er sie aus knietiefer Enttäuschung verließ, weiß er, wie man das Publikum bürsten muss. »Der real existierende Kapitalismus«, erläutert er und setzt hörbare Gänsefüßchen um das letzte Wort, »verdient seinen Namen nicht. Statt Wettbewerb herrscht stumpfe Besitzstandswahrung, statt auf Leistung gründen sich Status und Erfolg auf blind ererbte Privilegien. Das Ge­rede von der modernen Chancengesellschaft ist doch nur genau das: Ge­rede!« pointiert Meier seine Rede.

»Ebend!« macht sich ein rundum vierschrötiger Mann bemerkbar. »Deshalb ist Ihr Spruch ›Jeder ist seines Glückes Schmied‹ falsch wie nichts Gutes. Ich bin Schmied und weiß, wovon ich rede! Mit keinem Metall der Welt können Sie Glück gießen. So ein Quatsch! Wie kommen Sie überhaupt darauf?!« dröhnt es aus dem grob gehauenen Kopf. »Also reden Sie keinen Stuss, Mann! Ihr Spruch ist doch bis in die Wurzeln verlogen!«

»Im Gegenteil«, pariert Meier mit kühler Hand. »Dem Slogan wohnt tiefe Sprengkraft inne. Er hat das Zeug, die zementierten Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, indem er ihnen ihre eigene Melodie vorspielt!«

»Aber dafür wäre gerade der von Ihnen so fingerdick verpönte Sozialismus das passende Gegengift!« sticht eine Stimme im Hintergrund auf, »und den will sich hier niemand anziehen. Glauben Sie mir, ich habe selbst als sehr, sehr junger Mensch hier im Landkreis Fulda, im schwarzen Loch Deutschlands, immer wieder und bis in die Nasenspitze voller Hass über die Änderung der Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft nachgedacht – und wenn ich in der Sakristei wieder zu mir kam«, setzt der Sprecher fort, während sich auf den Gesichtern seiner Nachbarn ahnungsvoll ein breites Schmunzeln niederlässt, »zog ich mich an, gab dem Herrn Pfarrer die ›Hand‹ und eierte nach Hause, wie jeden Sonntag nach der Messe. Was ich damit sagen will? Egal!«

Die Umstehenden nicken, erleichtert, dass die anfangs nach hochprozentiger Feindseligkeit gegen die Gesellschaft schmeckende Geschichte eine in den christlichen Kirchen ganz alltägliche Wendung genommen hat. Nein, den Sozialismus will sich hier niemand auf den Buckel laden!

Auch Leo Meier weist den Verdacht meterweit zurück. »Um Himmels willen! Der Sozialismus, der Kommunismus ist 1989 im Abfalleimer der Universalgeschichte gelandet.« Er selbst hatte sich, nachdem er sich durch andere konservative Parteien wie die SPD und die Grünen hindurchgebohrt hatte, dem linken Lager zugewandt, aber schnell erkannt, dass dessen Ideologie auf tönernen Füßen schwimmt. »Nein«, fährt er fort, »es ist der Kapitalismus, der das Paradies der Werktätigen aufpflanzen wird! Die objektiven Bedingungen, um den Kapitalismus schnurstracks zu errichten, sind gegeben. Es hapert nur noch an den subjektiven Bedingungen, am Bewusstsein. Die Menschen sind noch nicht reif für den Kapitalismus! Aber das wird sich ändern, wenn wir erst einmal alle enteignet haben.«

Den meisten, die bisher wortlos zugehört haben, stehen mit einem Mal die Gesichter offen. Was war das eben?!

»Aber selbstverständlich!« beharrt Leo Meier mit einladender Geste. »Damit jeder seines Glückes Schmied werden kann, müssen alle Menschen gleiche Chancen im Rucksack haben. Niemand darf durch Eigentum, Erbschaft, ein von der Familie aufgebautes Netzwerk oder durch eine sogenannte bessere Kinderstube beim Start die Nase vorn haben.«

Meier, der als Kind kleiner Eltern nach der achten Klasse abgehen musste und in einer Hühnerfarm Küken zerstampft hatte, bevor er wegen der Automatisierung seine Stelle verlor: Er glaubte an die Versprechungen von Politik und Gesellschaft, die ihm ein Haus, eine Frau, ein Auto, größer als er selbst, und eine Yacht verhießen. Doch als er sich eines Tages ein Haus, eine Frau, ein Auto und eine Yacht kaufen wollte, hatte er nicht genug Geld. Andere hatten mehr im Beutel, obwohl sie nie Küken zerstampft hatten! Das riss ihm die Augen auf. »Deshalb wird natürlich das Erbrecht abgeschafft und die achtklassige Einheitsschule eingeführt. Ist doch sonnenklar und bedarf keiner Kritik.«

»Aber niemand, der etwas hat«, drängt sich in der Menge eine Stimme nach vorn, »wird etwas davon haben, wenn er seine Besitztümer hergibt!«

»Nun, wenn man nicht am Aufbau einer auf Freiheit beruhenden Gesellschaft mitwirken will, bitte sehr. Wer auf gleiche Chancen verzichtet, erhält eben gar keine! Die Todfeinde des Kapitalismus, die in den Führungsetagen der Wirtschaft wohnen, müssen sich dann halt in Wolkenkuckucksland umtun. Ist doch kein Ding!«

Da höre er jetzt den Schatten von Pol Pot, behauptet ein Zwischenrufer und erntet eine dampfende Abfuhr: »Quatsch! Niemand hat die Absicht, die Feinde des Kapitalismus in eine Mauer einzubetonieren. Nein!« setzt Meier, während der Halbkreis der Zuhörer sich stetig vergrößert, neu an: »Denjenigen, die beim Aufbau des Kapitalismus mit anpacken, stehen sämtliche Türen bis zum Anschlag offen. Alle kriegen die gleiche Möglichkeit, um durch Leistung, Eigeninitiative und Verantwortung in einem wahrhaft fair schmeckenden Wettbewerb voranzukommen. Die Losung der Kapitalistischen Partei lautet: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung!«

Leo Meier hat sich warm geredet und spürt, dass er sein Publikum am Schlafittchen hat. Jetzt geht alles sehr schnell. »Am Ende, wenn das kapitalistische Paradies errichtet ist, verspreche ich Ihnen, wird es so weit sein: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Darum: Vorwärts mit der Kapitalistischen Partei!« Zustimmendes Gemurmel dringt aus dem stark angeschwollenen Volk, »Jeder ist seines Glückes Schmied!« ruft Leo Meier, »Freie Bahn dem Tüchtigen!« erwidert die Masse, dann macht sie sich auf den Weg, um in einem ersten Schritt die Besitzenden in Hünfeld zu enteignen.

Das war vor zwei Wochen. Seither wurden uneinsichtige Unternehmer, Manager und Aktionäre dem Erdboden gleichgemacht, sämtliche Geldscheine in Gemeineigentum überführt und Hünfeld zur kapitalistischen Zone erklärt, in der alle lebenden Menschen gleich sind und allein das Leistungsprinzip gilt.

Auf dem Marktplatz haben tüchtige Hünfelder nach Feierabend ein in Gold gegossenes Denkmal für Leo Meier errichtet. Noch bei der Hessenwahl hatte seine KPD nur eine Stimme erhalten, die ihres einzigen Mitglieds, die von Leo Meier. Doch das ist, wie Hünfeld beweist, nicht das letzte Wort im letzten Kapitel der Universalgeschichte.

Nein, von Osthessen aus geht ein Gespenst um in Europa, das Gespenst des Kapitalismus, vor dem die Kapitalisten nach Strich und Faden zittern! Und so hört man es sicher bald auch auf den Straßen anderer Städte: »Jeder ist seines Glückes Schmied! Freie Bahn dem Tüchtigen! Vorwärts mit der KPD!«

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