Mit allen Mitteln
Von Gerd BedszentEs mag auf den ersten Blick ungewöhnlich scheinen, dass eine katholische Kirchengemeinde – hier St. Gallus in Frankfurt am Main – die Herausgabe eines antifaschistischen Buches unterstützt oder sogar anregt. Allerdings fanden sich (freilich nahezu ausschließlich in den von Nazideutschland besetzten Ländern) eben auch Kleriker im Widerstand wieder. Und dabei kam es punktuell auch zur Zusammenarbeit von im eigentlichen Sinne katholischen Widerstandsgruppen mit dem eher linksgerichteten Widerstand.
Im hier zur Lektüre empfohlenen Buch geht es primär um Zwangsarbeit in den Adlerwerken in Frankfurt am Main im Zeitraum 1942 bis 1945. Die Adlerwerke waren einer der größten deutschen Hersteller für Kraftfahrzeuge, Fahrräder und Motorräder. Im Krieg ein wichtiger Rüstungsbetrieb. Je länger der Krieg andauerte und die zum Militär einberufenen deutschen Arbeiter in der Industrieproduktion fehlten und auch nicht vollständig durch weibliche Arbeitskräfte ersetzt werden konnten, desto häufiger griffen die deutschen Großunternehmen auf Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge oder auf in den besetzten Gebieten mehr oder weniger zwangsweise zur Arbeit verpflichtete Zivilbeschäftigte zurück. Viele dieser Zwangsarbeiter kamen aus den mehrheitlich katholischen Ländern Frankreich, Polen u nd Belgien.
Bei dem Buch handelt es sich um eine Zusammenstellung verschiedener Texte über die Tätigkeit illegal eingeschleuster französischer Geistlicher und Funktionäre der katholischen Arbeiterjugendvereinigung »Jeunesse ouvrière chrétienne« in den Adlerwerken. Gehörten diese Menschen mit zum antifaschistischen Widerstand? Gewiss. Die Gestapo bekämpfte die verdeckte Einflussnahme katholischer Kleriker und katholischer Organisationen auf die in der Endphase des Krieges in deutschen Industrieregionen konzentrierten Zwangsarbeiter. In einem im Buch abgedruckten Erlass des Reichssicherheitshauptamtes hieß es, wegen der »deutschfeindliche(n) Einstellung der französischen Kardinäle und Geistlichen« sei eine »religiöse Betreuung französischer, belgischer, holländischer usw. Zivilarbeiter (…) mit allen Mitteln zu unterbinden«.
Wie aus den in dem Band wiedergegeben Erinnerungen zahlreicher Zeitzeugen hervorgeht, lag der Schwerpunkt der illegalen Arbeit zweifelsfrei auf seelsorgerischem Gebiet – die Grenze zur sozialen Interessenvertretung und zum politischen Widerstand war jedoch fließend. Das konnte angesichts der fürchterlichen Bedingungen in diesen Arbeitslagern kaum anders sein. An mehreren Stellen des Buches wird auf die schauerlichen Bedingungen verwiesen: »Kinder spielten neben den Sterbenden oder neben den an Toiletten abgelegten Leichen.« Priester in Arbeiterkleidung und mit falschen Papieren sammelten demzufolge Geld und Lebensmittel, um sie an Lagerinsassen weiterzugeben, denen es besonders schlecht ging. In dem Buch wird ein Streik von Zwangsarbeitern geschildert, die sich gegen die ihnen zugemutete ungenießbare Kantinenverpflegung auflehnten – unter den Bedingungen der von Werkschutz und Gestapo überwachten Arbeitsdisziplin der Nazikriegswirtschaft ein lebensgefährliches Unternehmen. Mehrere Streikende wurden verhaftet und verschwanden für immer.
Das Buch bietet exemplarisches Material zur Lage und den Kampfbedingungen ausländischer Zwangsarbeiter in der faschistischen Kriegswirtschaft; es ist nicht nur deswegen auch für nichtkatholische Antifaschisten von Interesse.
Jean-François Ameloot/Herbert Bauch/Thomas Schmidt (Hg.): Französische Priester und Arbeiterjugendliche in geheimer Mission. Unter französischen Zwangsarbeitern in den Adlerwerken in Frankfurt am Main 1942–1945. Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2023, 188 Seiten, 19,90 Euro
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