junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 05.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Heimatfronttheater

Prinz Harry gefällt das

Scheindialektik der Aufklärung: Das Stück »Kampfeinsatz« des Hamburger Axensprung-Theaters über PTBS-gebeutelte Bundeswehr-Soldaten
Von Susann Witt-Stahl
10 EduardWagner.jpg
Stell dir vor, es ist Krieg, und du kriegst nichts mehr hin

Oberstleutnant André Torgau leidet unter psychischen Höllenqualen. Sein Gemütszustand changiert zwischen Apathie und rasender Wut. Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die er im Afghanistan-Einsatz erlitten hat, stürzt ihn in eine Atomisierung, die auch seine Frau nicht durchbrechen kann. Die Ignoranz eines empathielosen Stabsarztes und einer Gesellschaft, die den Elefanten im Raum nicht sehen will, sorgt für noch mehr Entfremdung vom zivilen Alltag. Das alles ist im 90minüten Theaterstück »Kampfeinsatz« dank dem eindringlichen Spiel der Darsteller mit einer Intensität zu erleben, die am vergangenen Donnerstag das Publikum im gut gefüllten Tschaikowsky-Saal im Hamburger Karolinenviertel spürbar bewegte.

»Kampfeinsatz« ist eine Produktion des 2013 von dem Schauspieler Oliver Hermann gegründeten Axensprung-Theaters. Die Premiere fand bereits 2015 statt. Aufführungen werden vorwiegend für die Führungsakademie und andere Institutionen der Bundeswehr gebucht, im vergangenen September lief das Schauspiel im Begleitprogramm von Prinz Harrys »Invictus Games« für Kriegsversehrte. Jüngst war es viermal in Hamburg zu sehen, der Heimatstadt des Axensprung-Ensembles.

Das Stück von Regisseur, Autor und Schauspieler Erik Schäffler sowie vier weiteren Axensprung-Kollegen frage »nach der Verantwortung demokratischer Gesellschaften angesichts aktueller Kriege und Terror in Europa und vielen Teilen der Welt«, heißt es in der Ankündigung, die nach Ampelregierung klingt. Dieser Eindruck wird vertieft durch den Untertitel »Stell dir vor, es ist Krieg, und du gehst hin«. Der ironisch gebrochene Slogan der Friedensbewegung der Bonner Republik ist allein deshalb nicht originell, weil er den derzeit gefährlichsten der deutschen Zustände affirmiert.

In den Dialogen, den Bild-, Video- und Soundcollagen des Stücks, die die fragmentierten Erinnerungen und Wahrnehmungen von PTBS-Opfern sinnlich erfahrbar machen, finden sich zwar antimilitaristische Dissonanzen, auch die Schrecken des Krieges werden nicht ausgespart, aber die Schonungslosigkeit der Aufklärung ist selektiv: Die Barbarei wird von den Taliban, vom IS und in historischen Rückblenden von der Roten Armee begangen. Die NATO-Truppen dagegen sind stets auf »Friedensmission«, die nur von den unzivilisierten »Gastgebern« unverstanden bleibt, obwohl die Soldaten deren Frauen und Kindern helfen, wo sie nur können. Solche Scheindialektik regt zu Kritik am von den Strack-Zimmermanns dieser Republik bejammerten lieblosen Umgang mit den Streitkräften an – zu keinem Zeitpunkt aber zur Ächtung des imperialistischen Kriegs.

Das ist der subtile »Kampfeinsatz«, den der auf Hochtouren vorangetriebene militaristische Staatsumbau den Musen abverlangt: Die Künstler beleuchten die hehre »Responsibility to Protect«, damit die Wahrheit der niederen Beweggründe der räuberischen Eroberung von Rohstoffen und Märkten im dunkeln bleibt, und sie simulieren kritische Auseinandersetzung, wo Meinungen längst synchronisiert und erstarrt sind.

Wo Brecht einst mit seinem epischen Theater Distanz zu den Kriegsherren her- und deren Verführung zu Mord und Totschlag bloßstellte, schaffen heute von liberalistischem Realismus durchwirkte Inszenierungen mit Emotionen und Affekten eine fatale Nähe zu ihren PR-Abteilungen. Und so gab es vor der »Kampfeinsatz«-Aufführung eine Begrüßung von der Landeszentrale für politische Bildung, die neben u. a. der Körber-Stiftung die nötigen Fördermittel bereitgestellt hatte, und danach noch ein von den Schauspielern moderiertes Gespräch mit einem Traumatherapeuten der Bundeswehr sowie einem von PTBS betroffenen Soldaten. Daraus war zum Beispiel zu erfahren, dass Kriege tragisch, aber nicht abzuwenden sind, schließlich hat es sie schon immer gegeben. Das Publikum bedankte sich mit der im Grünen-­Milieu üblichen Awareness – für das Leid deutscher Soldaten, nicht für die von diesen in Afghanistan und anderswo Hingemetzelten.

Für seinen Beitrag zum in Deutschland noch im Wiederaufbau befindlichen militärisch-kunsthandwerklichen Komplex wurde das Axensprung-Ensemble mit dem Preis »Bundeswehr und Gesellschaft 2023« belohnt. Anlässlich der Verleihung Anfang November wurde Klartext über die Funktion solcher (wehr-)machtgestützter »Kampfeinsätze« gesprochen: Als »Zeichen der Solidarität« trügen sie dazu bei, die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft »sichtbarer werden zu lassen«, erklärte Verteidigungsminister Boris Pistorius und machte damit deutlich, dass sie objektiv vor allem eines sind: ein Affront gegen die Kunst als – heute mehr denn je – letzte Bastion widerständiger Regungen.

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.

Ähnliche:

  • Vorliebe für Würstchen und gebrannte Mandeln: Samson
    10.01.2023

    Mehr als bunte Puppen

    50 Jahre »Sesamstraße«: Ein Abend mit Plüschbär Samson in Hamburg
  • »Ich bin ein zutiefst oberflächlicher Mensch« – Andy Warhol (Dio...
    29.08.2022

    »Es sind nur Bilder«

    Etwas brav: Die Deutschland-Premiere von Gus Van Sants Andy-Warhol-Theaterstück »Trouble« auf Kampnagel in Hamburg

Regio:

Mehr aus: Feuilleton