4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 05.02.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Meinungs- und Pressefreiheit

»Kritik zum Verstummen bringen«

EU-Medienfreiheitsgesetz zementiert Macht der Big-tech-Konzerne und erlaubt Hacken von Journalisten. Ein Gespräch mit Patrick Breyer
Von Mawuena Martens
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Welche Auswirkungen auf die Medien- und Pressefreiheit sehen Sie, sollte das EU-Medienfreiheitsgesetz in seiner jetzigen Form verabschiedet werden?

In Ländern wie Ungarn, wo Victor Orbán eine sogenannte illiberale Demokratie aufbauen will, schützt diese neue Verordnung tatsächlich die Meinungsfreiheit. In Ländern wie Deutschland allerdings, in denen es eine freie Presse gibt, kann die Verordnung Zensur sogar begünstigen, zum Beispiel durch das geplante Europäische Gremium für Mediendienste.

Was ist an dem geplanten Gremium problematisch?

Das Sekretariat, also quasi die Mitarbeiter dieses neuen Gremiums, sollen von der EU-Kommission gestellt werden. Zwar sollen sie weisungsunabhängig sein, Fakt ist aber, dass sie Mitarbeiter der EU sind und das Gremium damit politisch und nicht vollständig unabhängig sein kann. Aufgabe des Gremiums ist es auch, Maßnahmen gegen ausländische Medien zu koordinieren, die die öffentliche Sicherheit schwer gefährden. Das läuft letztlich auf Zensur hinaus, weil man es als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ansieht, wenn aus dem Ausland heraus Propaganda betrieben wird. Stichwort Staatssender, Stichwort RT Deutsch. Natürlich verbreitet jedes Land im Sinne seiner eigenen Interessen Informationen im In- und Ausland. Wenn wir aber anfangen, den Zugang unserer eigenen Bürger zu ausländischen Informationsquellen abzuschneiden, ist das nicht vereinbar mit den Grundsätzen eines freien Landes und eines mündigen Bürgers. Ich halte es für den völlig falschen Weg, unter dem vermeintlichem Deckmantel des Schutzes der öffentlichen Sicherheit Auslandsmedien zensieren zu wollen.

Seit Bekanntwerden des Gesetzesvorhabens gibt es Protest von seiten Medienschaffender und Zivilgesellschaft, die ein Ausspionieren von Journalisten durch Spähsoftware befürchten. Ist das durch die Einigung im Dezember vom Tisch?

Der Einsatz von Spyware gegen Journalisten wird ja durch das Vorhaben offiziell reguliert und damit zugelassen, und ich finde es skandalös, dass hier kein Verbot erfolgt ist. Mitgliedstaaten können zum Schutz der nationalen Sicherheit ohne Einschränkungen und unbemerkt Handys von Journalisten hacken. Fairerweise muss man sagen, dass das auch das EU-Medienfreiheitsgesetz nicht ändern kann, weil die EU im Bereich der nationalen Sicherheit nicht eingreifen darf. Hier also den Anschein zu erwecken, das Gesetz würde vor Missbrauch schützen, ist falsch.

Die EU-Verordnung regelt auch den Umgang mit der Löschung von Inhalten oder Accounts von Mediendienstanbietern. Onlinedienste müssen diesen Schritt demnach mitteilen und die Möglichkeit einer Antwort einräumen. Ist damit alles gut?

Normalerweise unterliegen die gedruckten oder gesendeten Inhalte von Medien keiner Zensur, der Staat darf nicht eingreifen. Anders leider im Internet: Wenn Medien Kanäle auf Facebook und Co. betreiben, maßen sich ausländische Internetkonzerne tatsächlich an, diese Pressefreiheit quasi an den von ihnen diktierten Geschäftsbedingungen zu messen. Diese sind oft völlig willkürlich und enthalten schwammige Begriffe. Big-tech-Konzerne können dann tatsächlich aufgrund eigener, selbst festgelegter Regeln Inhalte der freien Presse entfernen oder behindern. Nach meiner Überzeugung dürfen legale Inhalte aber nicht wegen willkürlich gesetzter Regeln eingeschränkt werden. Das EU-Medienfreiheitsgesetz sieht keinen solchen Schutz legaler Medieninhalte vor. Denn darin ist nur eine Erklärungspflicht der Internetplattformen sowie die Möglichkeit einer Stellungnahme von seiten des Medienanbieters bestimmt. Damit haben die AGB der Unternehmen quasi Vorrang vor der Pressefreiheit. Das ist wirklich skandalös und hoch bedenklich.

Welchen weiteren Weg geht der Gesetzestext nun, und gibt es noch eine Möglichkeit, Einfluss auf seinen Inhalt zu nehmen?

Inzwischen steht das Ergebnis der intransparenten Verhandlungen fest und ist veröffentlicht worden. Auch der Kulturausschuss des Parlaments hat ihn bestätigt. Voraussichtlich im März wird es vom Europäischen Parlament offiziell angenommen werden. Dann muss noch der Rat zustimmen. Theoretisch also ist noch möglich, das Gesetz abzulehnen und neu aufzumachen, praktisch aber ausgeschlossen.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat in der vergangenen Woche ein stärkeres Vorgehen gegen »gezielte Desinformation« aus dem Ausland, insbesondere seitens Russland, gefordert. Was meint er damit, und welche Bemühungen gibt es, die Bereitstellung von Informationen gezielt zu steuern?

Es ist in der Tat so, dass Russland Europa destabilisieren und spalten sowie autoritäre Parteien hierzulande stärken will. Richtig ist auch, dass dazu Propaganda im Netz verbreitet wird, die scheinbar von Bürgern kommt. Was die EU nun macht, ist, Propagandasender wie RT als Sanktionsmaßnahme oder auch über einen neuen Krisenmechanismus des sogenannten Digital Service Acts aus Europa fernzuhalten. Sie will solche Propagandamaßnahmen quasi unterbinden. Ich halte das für falsch und teilweise auch kontraproduktiv, weil man Propaganda sehen und verstehen können muss, um sie zu widerlegen. Des weiteren plant die EU neben dem Vorgehen gegen offizielle Medienkanäle, sogenannte Desinformation im Netz zu zensieren. Aber da ist ja schon die Grundfrage: Wer entscheidet eigentlich, was Desinformation ist und was Wahrheit? Wir wollen ja kein staatliches Wahrheitsministerium, das festlegt, was wir glauben dürfen und was nicht. Nicht zuletzt verlangt die EU, gegen anonyme Accounts im Netz vorzugehen, dabei schützt die Anonymität im Netz auch viele Menschen hierzulande, beispielsweise vor Nachstellungen und Stalking. Gegen die Anonymität vorzugehen ist daher gefährlich und kontraproduktiv. Besser wären Gegendarstellungen, Mahnungen oder Fact-Checking. Außerdem ist es wichtig, die Medienkompetenz und das Vertrauen in das System durch mehr Transparenz, echte Mitbestimmung für Bürger und die Einführung der direkten Demokratie auf EU-Ebene zu stärken. Die EU sieht ja oftmals schon ausländische Kritik an sich selbst als Propaganda an. Natürlich steckt dahinter eine Agenda, aber in der Sache wird die EU auch hierzulande von den eigenen Bürgern vielfach und zu Recht kritisiert, vor allem dafür, wie sie im Moment funktioniert, nämlich als Einfallstor für Kapitalinteressen, wo der Bürgerwille wenig zählt. Wer das Vertrauen in die Institutionen stärken möchte, müsste ja zuerst einmal die berechtigte Kritik angehen und sich an die eigene Nase fassen können. Das gerät hier völlig unter die Räder, wenn der Ansatz ist, Kritik zum Verstummen bringen zu wollen.

Patrick Breyer ist EU-Abgeordneter der Piratenpartei und in der Bürgerrechtsbewegung aktiv

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (5. Februar 2024 um 17:33 Uhr)
    Es ist eine sehr fromme Vorstellung von der Welt, dass bürgerliche Medien dazu da seien, die Wahrheit in ihrer vollen Widersprüchlichkeit zu vermitteln. Sie sind dazu da zu sichern, dass die Ideen der Herrschenden zu den herrschenden Ideen werden. Genau deshalb wird ihnen das Recht verliehen, Informationen für wert oder unwert zu erklären. Und festzustellen, dass es grundsätzlich immer die Anderen sind, die lügen. Zu nichts anderem wird dieses Schmierentheater veranstaltet, bei dem Wahrheit willkürlich zur Unwahrheit erklärt werden darf und schreiende Lüge zur Wahrheit. Daran gibt es nichts, aber auch gar nichts zu beschönigen. Wenn man nicht will, dass unsere Welt endgültig im Morast der Unwahrheiten versinkt, muss man da ganz grundsätzlich werden. Auch Krebs kann man schließlich nicht mit Kopfschmerztabletten allein heilen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (5. Februar 2024 um 13:55 Uhr)
    Die Medien schießen sich permanent selbst in die Füße und dann wird gejammert, dass die »Pressefreiheit« auf proprietären Plattformen eingeschränkt werden könnte. News Flash: Das war schon immer so, wie Herr Breyer ja auch durchblicken lässt. Mit gutem Recht bestimmen die Betreiber solcher Plattformen die Nutzungsbedingungen. Die Medien, die sich an deren Nutzer ranwanzen woll(t)en, haben diesen auch zugestimmt, sind selbst nichts weiter als Kunden – für lau. Niemand hat sie gezwungen, aber es war vordergründig billig und »notwendig«, weil »die Jugend« sich dort ihre Nachrichten holt. Ein gutes Beispiel für eine selbsterfüllende Prophezeiung. Ich bin voll und ganz für Zensur auf solchen Plattformen, je grotesker, desto besser; sonst kapieren es die »Entscheider« nicht, dass nichts kostenlos ist. Man hat keine eigenen Ideen oder gar Lösungen, um die Medien fit fürs 21. Jahrhundert zu machen und läuft jeder durchs Dorf getriebenen Sau hinterher. Eventuell klappt es ja zum nächsten Jahrhundertwechsel. Vielleicht sollte man sich an Marx’ Erkenntnis – wohl eher: Wunsch – erinnern: »Die erste Freiheit der Presse ist es, kein Gewerbe zu sein.«
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (5. Februar 2024 um 13:10 Uhr)
    Dass die »AGB der Unternehmen quasi Vorrang vor der Pressefreiheit« haben sollen, ist natürlich hoch problematisch, auch weil faktisch ein Großteil der Wahlwerbung über Twitter, Facebook und Co abläuft. Diese Unternehmen haben es damit in der Hand, welcher Partei sie zum Wahlsieg verhelfen wollen. Dass zwei oder drei Einzelpersonen etwa in den USA darüber maßgeblich mit entscheiden können, wer in Europa regiert, ist mit den Grundprinzipien einer demokratischen Verfasstheit nicht vereinbar. Dazu kommt die Frage, was denn nun die Wahrheit ist. Kürzlich hat Baerbock in einem Interview mit Daniela Vates und Kristina Dunz mal wieder ein paar Lügen über Russland zum besten gegeben, u. a. dass Putin davon gesprochen hätte, »dass die Ukraine vergewaltigt werden muss«. Derlei Lüge ist zwar im Umlauf, schon Gaddhafi wurde beweislos unterstellt, seine Soldaten mit Viagra zu Vergewaltigungen anzuhalten, dieselbe Lüge auch im Ukraine-Krieg, die Ukraine hat ihre Menschenrechtskommissarin Lyudmila Denisova entlassen, vermutlich wegen derartiger Lügen. Dass Baerbock dennoch unverändert weiter die alten Lügen verbreitet, hat durchaus auch damit zu tun, dass der westlichen Medienblase das ausländische, eben das russische Korrektiv fehlt. Ich weiß im Übrigen gar nicht, warum das Presserecht europäisch geregelt werden muss. Das kann – ohne jede Wettbewerbsverzerrung – problemlos den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen bleiben. Gut, dass zumindest BSW noch am Subsidiaritätsprinzip festhalten will.

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