»Es waren schwere Kämpfe mit jeder neuen Regierung«
Interview: Thorben Austen, QuetzaltenangoIn Guatemala ist die Regierung von Bernardo Arévalo seit etwa drei Wochen im Amt. Gegen den Widerstand der alten Eliten gelang das nicht zuletzt dank der Mobilisierung der indigenen Völker. Hat sich Ihre Gemeinde an den Protesten beteiligt?
Ja, es gab eine generelle Mobilisierung der gesamten Bevölkerung, koordiniert von den indigenen Bürgermeistern. Die Menschen beteiligten sich in Schichten nach Wohngebieten an den Blockaden.
Sie sind Lehrer. Wie ist die Situation in Ihrer Gemeinde?
Gott sei Dank ist sie gut, was den Zugang der Kinder zu den Schulen betrifft. Wir sind eine von fünf öffentlichen Schulen hier in La Estancia mit etwa 7.000 Einwohnern, wir haben etwa 750 Kinder am Vormittag und 217 am Nachmittag. Die Bevölkerung in Guatemala ist sehr jung und wächst rasant. Darüber hinaus gibt es noch zwei private Schulen. Es existiert keine genaue Statistik, aber aus unserer Gemeinde gehen, denke ich, heute 99 Prozent aller Kinder im Vorschul- und Grundschulbereich, also zwischen vier und zwölf Jahren, in die Schule.
Wohin muss sich der Unterricht entwickeln?
Ein großer Schritt nach vorn war die Einführung der allgemeinen Schulpflicht vor etwa zehn Jahren. Aber häufig vermitteln wir bloße Informationen. Der Unterricht ist zu wenig praxisbezogen, zum Beispiel für Kinder, die in handwerklichen Betrieben ihrer Eltern oder in der Landwirtschaft mitarbeiten. Häufig nutzen wir veraltete Schulbücher und haben nur unzureichend Zugang zu Computern oder Internet. Das liegt vor allem daran, dass die letzte Schulreform, die auch die Lehrpläne anpasste, vor 20 Jahren war.
Gewerkschaftlich organisiert sind Sie ebenfalls. Welche Rolle spielt die Gewerkschaft der Lehrer im Kampf für bessere Bildung?
Die Gewerkschaften konnten einiges durchsetzen, zum Beispiel kleinere Schulklassen oder kostenloses Schulmaterial. Die kostenlose Ausgabe von Lebensmittel wurde erreicht, ebenso wie schrittweise besseres Gehalt für die Lehrer. Es war ein schwerer Kampf, immer wieder, mit jeder neuen Regierung. Es gab Streiks, Demonstrationen, auch Polizeigewalt, wir wurden mit Tränengas beschossen. Ein Streitpunkt war, dass der Unterricht sehr vom Blick der spanischen Eroberer geprägt und die Geschichte des Landes nicht aus unserer Perspektive, die der indigenen Völker, gelehrt wurde. Zum Beispiel wurde unterrichtet, dass Christoph Kolumbus eine wichtige Persönlichkeit war, die den Indigenen die Augen geöffnet hat. Hier wurden Fortschritte erreicht, auch wenn noch vieles fehlt.
Die gewerkschaftliche Organisierung begann etwa in der Zeit des Friedensabkommens, trotzdem gab es aber noch Morde an Gewerkschaftern und »Verschwindenlassen«. Heute hat die Gewerkschaft Sekretäre in allen Departamentos und Strukturen in den Landkreisen und Schulen. Es gibt insgesamt sieben, die größte ist das Sindicato de Trabajadores de la Educación de Guatemala (STEG), mit etwa 30.000 Mitgliedern, in der auch ich Mitglied bin.
Es gibt aber auch Kritik an den Gewerkschaften, sogar Korruptionsvorwürfe. Der langjährige STEG-Vorsitzende Joviel Acevedo Ayala wird seit vergangenem Jahr auf der sogenannten Engel-Liste der USA geführt, auf der »korrupte und undemokratische Personen« gesammelt werden.
Diese Vorwürfe waren auch der Grund, weshalb sich die Gewerkschaft nicht an den Protesten im Oktober beteiligt hatte. Wir Lehrer haben als Privatpersonen teilgenommen. Mir sind die Anschuldigungen bekannt, Acevedo soll mehrere Fincas besitzen, teure Schulbildung seiner Kinder in den USA finanzieren. Ich habe vor zehn Jahren mit ihm gesprochen, damals stritt er mir gegenüber die Vorwürfe ab und sagte, damit seien Menschen konfrontiert, die in Guatemala für Gerechtigkeit kämpfen. Ich kann den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe ebensowenig prüfen wie seine Darstellung der Dinge. Ich sehe aber die Fortschritte, die die Gewerkschaft im Bildungsbereich durchgesetzt hat.
Was erwarten Sie von der Regierung Bernardo Arévalos?
Die Regierung ist ein Licht, eine Hoffnung. Im Bildungsbereich rechnen wir mit der Reduzierung der Gehälter hoher Regierungsfunktionäre bei gleichzeitigem Anstieg des Budgets. Allgemein sehe ich es als sehr wichtig an, dass sich Arévalo mit den indigenen Bürgermeistern getroffen und Gelder in Aussicht gestellt hat.
José Luis García Utuy arbeitet als Lehrer an einer öffentlichen Schule in der Gemeinde La Estancia im Landkreis Cantel im Departamento Quetzaltenango
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