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Aus: Ausgabe vom 02.02.2024, Seite 2 / Inland
Angriff auf Grundrechte

»Es lässt viel Raum für Willkür«

Sachsen: Bündnis organisiert Aktionen gegen neues Versammlungsgesetz. Ein Gespräch mit Harris B.
Interview: Philip Tassev
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Gegen ein neues Versammlungsgesetz protestierten in NRW auch Fußballfans (Köln, 30.10.2021)

Am 1. September, pünktlich zur Landtagswahl, soll in Sachsen ein neues Versammlungsgesetz in Kraft treten. Ihr Aktionsbündnis organisiert dagegen Proteste. Welche Verschärfungen sind mit dem Gesetz konkret zu erwarten?

Wir befürchten an mehreren Stellen eine massive Verschärfung. So soll es einen Ausbau der Überwachung und der Datenspeicherung geben. Ordner von Demonstrationen sollen polizeilich überprüft werden und nach bestimmten Kriterien, die noch nicht feststehen, auch abgelehnt werden dürfen. Das Störverbot soll weiter gefasst werden, so dass beispielsweise schon das Lärmmachen am Rande einer Nazidemonstration verboten werden kann. Von Blockaden kann da schon gar keine Rede mehr sein.

Mit einem Uniformierungsverbot soll ein einheitliches Auftreten verboten werden. Das kann jede Form von organisiertem politischen Protest treffen. Ob Arbeiterinnen mit Gewerkschaftswesten, Klimaaktivisten in Maleranzügen oder Kommunisten mit roten Halstüchern: All das kann als Uniformierung ausgelegt und verboten werden. Es könnte aber auch gegen Fußballfans angewendet werden, die auch gerne mal einheitlich gekleidet auftreten. Auch das Militanzverbot, mit dem bestimmte Verhaltensweisen untersagt werden sollen, ist sehr offen gehalten und lässt viel Raum für Willkür. Vorträge, die für eine »Störung der Öffentlichkeit« sorgen könnten, sollen von Polizeibeamten, die mit in den Veranstaltungsräumen sitzen, beobachtet werden dürfen. Alles in allem sehen wir, dass die Polizei mehr Befugnisse erlangt und es zu einer Art Verschmelzung von ihr mit den Ordnungsbehörden kommt.

Warum kommt das gerade jetzt? Und was genau ist der Zweck dahinter?

Mit der Ausweitung der Befugnisse für Staat und Polizei wird ein immenses Repressionsinstrument geschaffen. Manche behaupten, dieses Versammlungsgesetz sei gesellschaftlich nicht relevant. Das halten wir für eine gefährliche Fehleinschätzung, insbesondere in Zeiten der zunehmenden Faschisierung, vor allem auch hier in Sachsen. Vor vier Jahren, auch zur Landtagswahl, gab es schon eine Verschärfung mit dem Polizeigesetz. Immer zu Landtagswahlen finden eben diese Gesetzesverschärfungen meist gegen linke Strukturen statt. Die werden schöngeredet, und es wird behauptet, das Gesetz sei dazu da, damit etwa die Presse besser arbeiten kann und bei Naziaufmärschen besser geschützt ist. Das halten wir für einen Vorwand. Es geht um die Kontrolle und Verhinderung von Versammlungen durch den Staat.

Was wollen Sie dagegen tun?

Unser Ziel ist es, ein strömungsübergreifendes Bündnis mit sachsenweiter Beteiligung auf die Beine zu stellen. Das Hauptanliegen ist die Verteidigung der demokratischen Grundrechte in bezug auf die Versammlungsfreiheit. Wir wollen Druck aufbauen, um zu erreichen, dass das Gesetz in der derzeitigen Form nicht durchgeht und nicht stillschweigend beschlossen wird. Wir wollen der breiten Gesellschaft vermitteln, warum das Thema relevant ist, insbesondere in Hinblick auf zunehmende Faschisierung, Wirtschaftskrise und Militarisierung.

In unserem Bündnis aus bisher etwa 30 demokratischen Initiativen, antifaschistischen Gruppen, Klimagruppen, Parteijugendorganisationen, Gewerkschaften, sozialistischen und kommunistischen Organisationen haben wir sehr viel noch zu entwickelndes Potential. Wir wollen eine gemeinsame Großdemonstration in Dresden durchführen. Dazu werden wir landesweite Informationsveranstaltungen organisieren und unsere Ressourcen gegenseitig zur Verfügung stellen, so dass nicht jede Stadt ihr eigenes Süppchen kochen muss.

Das Polizeigesetz wurde kürzlich für verfassungswidrig erklärt. Setzen Sie Hoffnungen in die bürgerlichen Institutionen?

Solche Gesetze müssen auch dort angegriffen werden, wo sie gemacht werden: in den Parlamenten. Das Polizeigesetz ist aber auch nur zu einem Teil zurückgenommen worden. Die militärische Ausstattung der Polizei etwa ist immer noch vorhanden. Wir hoffen, dass dieses Versammlungsgesetz komplett oder zumindest teilweise gekippt wird. In NRW haben wir gesehen, dass dafür aber Protest notwendig ist. Letztendlich beobachten wir aber in den Parlamenten eine immer weitere Verschiebung nach rechts.

Harris B. ist Sprecher des Aktionsbündnisses »#NoVersgSax« gegen das neue sächsische Versammlungsgesetz

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