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Aus: Ausgabe vom 01.02.2024, Seite 6 / Ausland
El Salvador

Labor der Ultrarechten

El Salvador: Trügerische Ruhe vor Wahlen. Sieg von Präsident ausgemacht
Von Tom Beier
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Dank dem rechten Staatschef Nayib Bukele können Salvadorianer auch hier mit Bitcoin zahlen (San Salvador, 29.1.2024)

Am Sonntag finden Präsidentschafts- und gleichzeitig Parlamentswahlen in El Salvador statt. Am 4. März folgen dann die Kommunalwahlen. Eigentlich dürfte Najib Bukele, der juvenile Präsident, der sich mit seiner speziellen Form von Ironie gerne als »coolsten Diktator Lateinamerikas« bezeichnet, gar nicht erneut antreten. Aber ein Urteil der von Bukele umbesetzten Verfassungskammer vom September 2021 legte den entsprechenden Artikel neu aus und machte somit den Weg für seine Wiederwahl frei. Und die steht für alle politischen Beobachter im Land außer Zweifel – egal, welcher Couleur. Sein Gewinn dürfte haushoch ausfallen, und auch der von Bukele selbst erfundenen Partei »Nuevas Ideas« werden nahezu alle Parlamentssitze prophezeit.

Die ehemalige Regierungspartei FMLN, hervorgegangen aus der Guerillabewegung, die in den 1980er Jahren erfolgreich gegen Ausbeutung und Unterdrückung kämpfte, muss zittern, ob sie überhaupt noch ein Mandat gewinnt. Auch die anderen zumeist rechten bis ultrarechten Parteien der Agrar- und Industriebourgeoisie, mit denen Bukele zur Zeit noch koaliert, kommen wohl nur auf wenige der 84 Parlamentssitze. Es droht eine Einparteienherrschaft, die letztlich eine Einmannherrschaft wäre. Gefestigt werden dürfte sie durch die Kommunalwahlen, in denen Bukeles Partei wegen einer umfangreichen Reduzierung der Wahlkreise ebenfalls unangefochten gewinnen dürfte.

Wer aktuell in El Salvador unterwegs ist, findet ein Land vor, das sich in einem wohlgeordneten Wahlkampf zu befinden scheint. Hitzige öffentliche Debatten – früher an der Tagesordnung – gibt es kaum. Bukele hat die Zustimmung von 80 Prozent der Bevölkerung. Geschickt organisiert er sie über die sozialen Netzwerke. Größtenteils verdankt er sie seiner radikalen Bekämpfung der Maras, der Jugendbanden, die zuvor das kleine Land terrorisierten. Die Menschen sind begeistert von der neugewonnenen Freiheit, sich ungezwungen bewegen zu können. Wer etwa abends im Zentrum der Hauptstadt San Salvador unterwegs ist, traut seinen Augen nicht: Selbst in der Dunkelheit flanieren die Leute durch die neue Fußgängerzone und lassen sich in Parkanlagen zum Picknick nieder. Noch vor kurzem wäre dies unmöglich gewesen. El Salvador, einst das Land mit der höchsten Mordrate weltweit, ist so gar zum Vorbild für andere lateinamerikanische Rechtspolitiker wie den neugewählten argentinischen Präsidenten Javier Milei geworden.

Aber die Ruhe trügt. Denn erkauft ist sie mit Eingriffen in die Menschen- und Bürgerrechte. Um die Maras maximal bekämpfen zu können, hat Bukele bereits vor mehr als einem Jahr erstmals den Ausnahmezustand ausgerufen und mit Hilfe seiner Parlamentsmehrheit seitdem stets verlängert. In einem neuen Gefängnis für 40.000 Personen hat er alle »Staatsfeinde« inhaftieren lassen, angeblich nur Mitglieder der Jugendbanden. Täglich aber werden Menschen verhaftet, denen keine Anklage vorgelegt wird, die keine juristische Verteidigung erhalten. Der Ausnahmezustand macht es möglich. Innenpolitische Kritiker und internationale Menschenrechtsorganisationen, die all das zu Recht anprangern, kanzelt Bukele mit dem Hinweis ab, sie wollten ihn bloß diffamieren, seien nicht an der Beseitigung der Gewalt interessiert. Garniert wird sein Herrschaftsmodell mit der Einführung des Bitcoins, dem Glamour von Miss-Universum-Wahlen oder dem Hype um Veranstaltungen wie »Surf City«. Mit der Lebensrealität der meisten Salvadorianer hat das herzlich wenig zu tun. Mehr als die Hälfte lebt weiter unter der Armutsgrenze. Tendenz steigend.

Und so ist El Salvador vor den Wahlen vor allem das: ein Land, in dem Ruhe herrscht, weil alle Unruhestifter, darunter viele politische Gegner, im Gefängnis sitzen. Ein Land ohne Perspektive für die Mehrheit der Bevölkerung. Gewinnt Bukele wie absehbar die Wahlen, dürfte es ein noch größeres Zucht- und Armenhaus werden.

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