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Aus: Ausgabe vom 31.01.2024, Seite 7 / Ausland
Drohnenangriff

Washington sinnt auf Rache

Nahostkonflikt: Anschlag auf US-Soldaten in jordanisch-syrischem Grenzgebiet. Iran als Schuldiger ausgemacht
Von Knut Mellenthin
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Im Nahostkonflikt ist das Pentagon in Zugzwang: Sitz des US-Verteidigungsministeriums in Arlington/Virginia (3.3.2022)

Nachdem am Sonntag drei US-Soldaten bei einem vermutlich aus dem Irak gestarteten Drohnenangriff getötet wurden, steht US-Präsident Joseph Biden unter starkem Druck, direkte »Vergeltungsschläge« gegen Ziele im Iran anzuordnen. Nach US-Angaben fand die Attacke in Jordanien statt. Der jordanische Regierungssprecher Muhannad Mubaidin erklärte jedoch umgehend, der Angriff sei nicht auf Jordaniens Territorium erfolgt.

Der Vorgang stellt offensichtlich eine Zäsur dar: Aus Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung des Gazastreifens und des besetzten Westjordanlandes greifen irakische Milizen seit Oktober vorigen Jahres Militärstützpunkte der USA im Nahen Osten mit Raketen und Drohnen an. Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh gab die Zahl solcher Attacken am Montag mit 165 seit dem 17. Oktober vorigen Jahres an. Davon hätten sich 66 gegen US-Truppen im Irak und 98 gegen amerikanische Soldaten in Syrien gerichtet. Der Angriff am Sonntag war nun der erste, bei dem es Tote gab.

Dass sich dadurch die Reaktionen Washingtons erheblich verschärfen würden, war zu erwarten. Bisher hatte es lediglich leichte körperliche Beeinträchtigungen bei weniger als 100 US-Soldaten, anscheinend überwiegend Gehirnerschütterungen durch die Explosion der Geschosse, und nur eine einzige ernste Verletzung gegeben. Das für die Region zuständige Kommando Mitte der US-Streitkräfte (Centcom) hatte fünf oder sechs »Vergeltungsschläge« gegen Milizen im Irak und in Syrien angeordnet.

Nach dem Tod der drei Soldaten in der Grenzregion wird allgemein ein direkter Militärschlag der USA gegen Iran oder wenigstens gegen Berater der iranischen Revolutionsgarden in Syrien erwartet. Die Biden-Regierung hält sich vorläufig alle Optionen offen. Der Präsident wies die Schuld an dem Angriff in seiner ersten Stellungnahme am Sonntag »vom Iran unterstützten radikalen militanten Gruppen« zu, begnügte sich aber mit der knappen Drohung, die USA würden »alle Verantwortlichen zu einem Zeitpunkt und auf eine Weise zur Rechenschaft ziehen, die wir selbst bestimmen«.

Pentagon-Sprecherin Singh bestätigte diese Aussage am Montag, wich aber der Frage aus, ob eine »direkte Antwort« auf iranischem Territorium geplant sei. Die US-Regierung wolle keinen Krieg mit dem Iran und keinen größeren Konflikt, sei aber damit konfrontiert, dass es Verbündete (»Proxy groups«) Irans seien, die diese Angriffe durchführten. Außenminister Antony Blinken machte ebenfalls am Montag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg explizit den Iran für die tödliche Attacke verantwortlich, aber auch er ließ die Frage offen, wann und wo es eine militärische »Antwort« der USA geben werde. Diese könne jedenfalls, so Blinken weiter, auf verschiedenen Ebenen, in Etappen und über längere Zeit gestreckt erfolgen.

Donald Trump, voraussichtlich Bidens Gegner im Kampf um die Präsidentenwahl am 5. November, ergriff die Chance und behauptete in einer Stellungnahme am Montag, der Angriff vom Vortag sei »nur eine weitere entsetzliche und tragische Folge der Schwäche und Kapitulation« des Konkurrenten. Dank seiner eigenen Politik des »maximalen Drucks« sei Iran vor drei Jahren »schwach, bankrott und völlig unter Kontrolle« gewesen. Dann aber sei Biden gekommen und habe dem iranischen »Regime« Milliarden Dollar gezahlt. Gemeint ist damit die Freigabe beschlagnahmter Zahlungen für frühere Erdöl- und Erdgaslieferungen an Irak und Südkorea, die aber in Wirklichkeit bisher kaum realisiert wurde.

Viele Abgeordnete und Senatoren der Republikaner im Kongress haben seit Sonntag Bidens »Beschwichtigungspolitik« gegenüber dem Iran die Schuld am Tod der drei Soldaten gegeben. Der texanische Senator Edward »Ted« Cruz warf dem Präsidenten am Montag vor, er habe die von Trump abgeschaffte »Immunität« der iranischen Revolutionsgarden wiederhergestellt, seine Entscheidungen hätten direkt zu dem Angriff geführt. Senator Thomas Cotton aus Arkansas forderte als »einzig mögliche Antwort« auf die Angriffe »vernichtende militärische Vergeltung gegen Irans Terrorkräfte, sowohl im Iran als auch im gesamten Nahen Osten«.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (30. Januar 2024 um 21:03 Uhr)
    Rache ist ein untauglicher Ratgeber! Welchen Maßstab legen wir hier international an? Nachdem einige US-Soldaten in Jordanien tragisch ums Leben gekommen sind, schwört die USA Rache. Gewiss, jeder Tote in kriegerischen Auseinandersetzungen ist einer zu viel, doch wie viele Opfer haben die islamischgeführten Staaten von Irak über Afghanistan bis Syrien zu beklagen, die durch das US-Militär ihr Leben verloren haben? Haben die Leben der US-Bürger einen höheren Wert als die aller anderen? Wie ist dies zu verstehen?

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