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Aus: Ausgabe vom 30.01.2024, Seite 4 / Inland
EU-Wahl 2024

Konservative Konkurrenz

Ableger von türkischer Regierungspartei AKP könnte bei EU-Wahl im Juni in Deutschland antreten
Von Karim Natour
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Personen aus dem Umfeld der AKP versuchen seit einigen Jahren, die türkische Diaspora in Europa zu beeinflussen

Aktuell sprießen in Deutschland neue Parteiprojekte wie Pilze aus dem Boden: Am Sonnabend fand der erste Parteitag des neu gegründeten Bündnisses Sahra Wagenknecht in Berlin statt, die ultrakonservative »Werteunion« des ehemaligen Geheimdienstchefs Hans-Georg Maaßen steht in den Startlöchern. Und noch eine weitere, frisch gebackene Partei macht aktuell Schlagzeilen: Die »Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch« (DAVA) wird voraussichtlich bei den EU-Wahlen im Juni 2024 antreten, wie die Frankfurter Rundschau bereits Mitte Januar berichtet hatte. Einer Veröffentlichung der Bild am Sonntag zufolge sollen vier Männer als Spitzenkandidaten bei der EU-Wahl antreten, die früher für die türkische religiös-nationalistische Regierungspartei AKP von Recep Tayyip Erdoğan oder deren Vorfeldorganisationen tätig gewesen sein sollen. Zwei der Kandidaten sollen demnach Funktionärsposten bei den Islamverbänden DITIB und Millî Görüş innegehabt haben. Daneben tritt der Sprecher der »Union Internationaler Demokraten« (UID), einer Lobbyorganisation der AKP, Fatih Zingal, für die Partei an. Die DAVA will laut eigenen Angaben von der Repräsentationskrise der Altparteien profitieren: In einer Mitteilung bezeichnete sie sich selbst als »neue politische Heimat für viele Bürger, die von den etablierten Parteien nicht repräsentiert werden«. Personen aus dem Umfeld der AKP versuchen seit geraumer Zeit in Europa Satellitenparteien mit moralisch konservativen, wirtschaftlich neoliberalen und nationalistischen Standpunkten aufzubauen, um die türkische Diaspora zu beeinflussen.

Die aktuelle Berichterstattung über die Gründung der DAVA rief prompt Reaktionen von Vertretern anderer Parteien hervor. Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Die Linke) machte gegenüber der Frankfurter Rundschau die Union für das Entstehen der Partei verantwortlich: »Weil CDU und CSU dem Islam in Deutschland nur eine Gastrolle zuweisen und kein politisches Angebot für Konservative islamischen Glaubens anbieten, fehlt Muslimas und Moslems eine politische Stimme«. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) schrieb am Sonntag auf der Plattform X: »Ein Erdoğan-Ableger, der hier zu Wahlen antritt, ist das Letzte, was wir brauchen.« Der CDU-Politiker Christoph de Vries sagte der Bild am Sonntag, die Bundesregierung sollte diese Parteigründung »unter keinen Umständen auf die leichte Schulter nehmen«. Es sei dringend geboten, dass die Sicherheitsbehörden alle Aktivitäten dieser Partei genauestens beobachten, und der bayerische Innenminister Joachim Hermann (CSU) hielt die Gründung am Montag gegenüber Welt TV für ein »Alarmsignal für Entwicklung in Deutschland«.

Auch wenn die Union traditionell nicht die erste Anlaufstelle für konservativ eingestellte Muslime ist, befürchtet man dort offenbar Stimmverluste an eine weitere, von rechts konkurrierende Partei. Der Umgang aller im Bundestag vertretenen Parteien mit dem aktuellen Krieg im Gazastreifen könnte zudem aufgrund der weitverbreiteten Sympathien für die Palästinenser in muslimisch geprägten migrantischen Communitys zu einer verstärkten Wählerabwanderung von SPD und Grünen führen. Wegen der fehlenden Prozenthürde bei der EU-Wahl ist nicht auszuschließen, dass die DAVA ins EU-Parlament einzieht. Vor allem die vom Bundestag am 20. Januar verabschiedete Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, aufgrund derer zukünftig möglicherweise rund 2,5 Millionen Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft und infolgedessen das Wahlrecht erhalten könnten, birgt ein größeres Wählerpotenzial für Parteien, die sich als Stimme von Migranten gegen Diskriminierung darstellen, als bisher. Ruft man sich die mageren Ergebnisse ähnlich gelagerter AKP-naher Projekte früherer Jahre wie die BIG-Partei oder die Allianz Deutscher Demokraten (ADD) in Erinnerung, dürfte die DAVA allerdings keine größeren Chancen auf eine Etablierung im Parteienspektrum haben.

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