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Aus: Ausgabe vom 27.01.2024, Seite 3 / Schwerpunkt

Hintergrund

Vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944 – 872 Tage oder fast 28 Monate lang – belagerten die Heeresgruppe Nord der faschistischen deutschen Wehrmacht und die vom spanischen Diktator Francisco Franco entsandte »Blaue Division« Leningrad, das 1991 wieder den zaristischen Namen St. Petersburg erhielt. Im Norden beteiligten sich finnische Truppen an der Abriegelung. Am 18. Januar 1943 durchbrach die Rote Armee zum ersten Mal den Blockadering, aber erst am 27. Januar 1944 konnte der Feind mehr als 200 Kilometer vom südlichen Stadtrand zurückgedrängt werden.

Das systematische Aushungern der Bevölkerung war eines der größten Kriegsverbrechen der Geschichte. Nach Schätzungen fielen ihm bis zu 1,2 Millionen Einwohner der Stadt, in der bei Beginn der Belagerung 1941 noch etwa 2,5 Millionen von ursprünglich 3,2 Millionen Menschen gelebt haben sollen, zum Opfer. Einige Historiker schätzen, dass in der Stadt und bei den Gefechten in der Umgebung 1,6 bis zwei Millionen Sowjetbürger ums Leben kamen.

Leningrad war ein industrielles und wissenschaftliches Zentrum der Sowjetunion. Dort wurde ein Viertel der Produkte des Schwermaschinenbaus und ein Drittel der Elektrotechnik hergestellt. Etwa drei Viertel der Produktion entfiel auf Militärtechnik.

In der Geschichtspolitik der Bundesrepublik und in deren Öffentlichkeit spielte die Blockade nie eine Rolle. Vom gesamten Vernichtungskrieg im Osten und vor allem in der Sowjetunion mit ihren 27 Millionen Toten existierte in Westdeutschland stets nur eine vage Vorstellung. Eine Petition, die zum 79. Jahrestag der Befreiung Leningrads 2023 den Bundestag aufforderte, die Blockade der Stadt als Völkermord einzustufen, erhielt auf change.org bis zum 26. Januar 2024 977 Stimmen.

Die Naziführung setzte den Hunger gezielt ein. Aus deutschen Regierungsdokumenten wie dem Plan des Staatssekretärs Herbert Backe aus dem Jahr 1941 geht hervor, dass beabsichtigt war, Russland bis zum Ural von deutschen Siedlern kolonisieren und dabei mindestens 30 Millionen Menschen umkommen zu lassen. Backe vermerkte am 2. Mai 1941: »1.) Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird. 2.) Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.« Im Oktober 1941 beschwerte sich der Chef des Sicherheitsdienstes der SS, Reinhard Heydrich, der Führerbefehl zur »Auslöschung« der Stadt, die Hitler als »Geburtsstätte des Bolschewismus« bezeichnet hatte, werde zu lasch ausgeführt. Die Wehrmacht erhöhte ihre Effizienz und bombardierte gezielt Vorratslager und Lebensmitteltransporte. (as)

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