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Aus: Ausgabe vom 29.01.2024, Seite 10 / Feuilleton
Fotografie

Es trösten die Küsse

Die Fotografin Gundula Schulze Eldowy wird 70 – das Berliner Bröhan-Museum ehrt sie mit einer Schau
Von Gisela Sonnenburg
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Fotografierte Fotografin: Gundula Schulze Eldowy (2024)

Das echte Leben äußert sich manchmal in purer Hässlichkeit. Gundula Schulze Eldowy, geboren 1954 in Erfurt, trat an, um das zu dokumentieren. Nicht ohne Zwinkern und Schmunzeln: Oft lässt sie Herz und Einfühlung statt Denunziation und Enthüllung walten. Am 23. Februar wird die renommierte Kunstfotografin 70 Jahre alt, ihre Bilder aber taugen für eine gefühlte Ewigkeit. Das Bröhan-Museum in Berlin-Charlottenburg weiß das und zeigt mit »Berlin in einer Hundenacht« einen zwischen 1977 und 1990 im Osten Berlins entstandenen Bilderzyklus der Fotokünstlerin.

Vor allem die Menschen, die in Mitte lebten, fielen der Fotografin auf. Damals gab es dort keine Hipster oder Touristenscharen, keine DHL-Boten und auch keine E-Scooter auf den Bürgersteigen. Dafür transportierte jemand seine neue Badewanne mit sich selbst als Pferd vorm Wagen. Ein Straßenbahnschaffner ließ sich in Uniform ablichten und, auf eigenen Wunsch, splitternackt in seiner beengten Wohnung.

Ein anderer Nackter hat viel zuviel geblähte Wampe vorzuzeigen – und fläzt sich damit demonstrativ vor der Kamera. Er lässt sich gehen, während seine Frau im selben Raum emsig die Schwiegermutter pflegt: Machismo à la DDR. Dagegen wirkt ein skurriles Ehepaar, das sein Hochzeitsfoto um Jahrzehnte verspätet nachholt, richtig verschmust.

Kinder spielen gelangweilt, dann voller Lebensfreude zwischen den schmucklosen Mauern von Mitte. Ihre Blicke künden mal von Skepsis, mal von Melancholie. Mal von Erwartung, mal von früher Resignation. Was wohl aus ihnen wurde? Gundula Schulze Eldowy hat sie für Stimmungen ins Bild gerückt, deren Gültigkeit weit über den damaligen Zeitgeist hinausreicht.

Aber auch der Tod spielt mit: Eine echte Leiche in einem geöffneten Sarg gibt es auch nicht oft zu sehen. Divenhaft geschminkt und hart ausgeleuchtet, hat sie eine Wand für sich. Als wollte sie den anderen zurufen: Genießt das Leben, es dauert nie lang genug! Rücksichtslose Rücksicht lässt Schulze Eldowy in ihren oft sorgsam arrangierten Fotografien vorherrschen: Sie will die Welt verstehen, und sie will, dass es andere auch tun.

Der Kurator Tobias Hoffmann kennt zudem den persönlichen Hintergrund von Schulze Eldowy. Sie studierte zunächst Werbung und Gestaltung in Berlin und kam übers Ausprobieren zur Fotografie. Prompt ließ es ihr keine Ruhe mehr. Sie begann ein zweites Studium, das der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, und pendelte fortan zwischen Berlin und der sächsischen Metropole.

Aber was wäre eine Frau ohne die Männer? Roger Mehlis, bekannter Autorenfotograf der DDR, porträtierte Gundula Schulze Eldowy als keck und sexy dreinschauendes Mädchen, deren Pferdeschwanz wie zufällig von einer Bewegung nach vorn gelegt ist.

Die Bekanntschaft mit dem 30 Jahre älteren, schweizerisch-amerikanischen Fotografen Robert Frank ermöglichte es ihr, ab 1990 drei Jahre lang in New York zu leben. Und dann ging sie auf Reisen für ihre Foto­serien: Ägypten, Russland, Ecuador, Peru. Einen Peruaner heiratete sie schließlich, und sie lebt auch heute noch teils in Peru, teils in Berlin.

Aber ihre Arbeiten bis 1990 haben sie berühmt gemacht. Sie nähren die Neugier der Kunstfreunde, der Menschenfreunde, auch der Tierfreunde. Denn eine Hundenacht ohne Köter wäre ja nicht denkbar: Einer trägt sein Tier sorgsam im Korb mit sich, eine andere kann nur noch die Leiche des toten Hundes zu Fuß nach Hause schaffen.

Da trösten die Küsse von alten und jungen Paaren. Oder das Selbstportrait der Fotografin, auf dem sie sich von einem jungen Mann kitzeln lässt. Sogar der Verfall wirkt bei Gundula Schulze Eldowy noch poetisch: Alte Aufschriften erhaschen ihre Aufmerksamkeit ebenso wie flächenhaft verbauter Backstein. Da es sich außerdem stets um analog erstellte Schwarzweißfotos handelt, ist das Flair von Sehnsucht nach der guten alten Zeit sozusagen programmiert.

»Berlin in einer Hundenacht« – Fotografien von Gundula Schulze Eldowy, Bröhan-Museum, Berlin, bis 14. April 2024

Hinweis: Wer noch mehr Arbeiten von Schulze Eldowy sehen möchte, kann das seit dem 24. Januar 2024 in der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin

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