Wem gehört die Welt? - Dein Abo zählt.
Gegründet 1947 Donnerstag, 7. Dezember 2023, Nr. 285
Die junge Welt wird von 2753 GenossInnen herausgegeben
Wem gehört die Welt? - Dein Abo zählt. Wem gehört die Welt? - Dein Abo zählt.
Wem gehört die Welt? - Dein Abo zählt.

Muskatnuss

Von Helmut Höge
Helmut_Hoege_Logo.png

In ihrem Goldenen Zeitalter (die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts) stiegen die Niederlande zu einer bedeutenden Kolonialmacht auf, die bald die Hälfte des Welthandels beherrschte. Die sich in dieser Zeit als Genre etablierende Stillebenmalerei zeugt davon, indem sie u. a. Früchte und Gewürze aus ihren Kolonien ins Bild setzen, darunter auch Muskatnüsse. Diese stammten von Banda Besar, der größten der (heute indonesischen) Banda-Inseln. Um ihr Muskatmonopol zu sichern, hatte die niederländische Ostindienkompanie 1621 nahezu alle handeltreibenden Bandanesen getötet, versklavt oder vertrieben. Ihre Flotte bestand aus 50 Schiffen und über 2.000 Mann, wozu auch 80 japanische Söldner, Ronin (herrenlose Samurai), gehörten. Sie waren als Schwertkämpfer »Experten in der Kunst des Köpfens und Zerhackens«, wie der indische Autor Amitav Ghosh in seinem Buch »Der Fluch der Muskatnuss. Gleichnis für einen Planeten in Aufruhr« (deutsch 2023) schreibt.

Die Japaner hatten 1543 in China gefertigte Gewehre (Arkebusen) erworben, kopiert und verbessert. 1560 begann der Einsatz von Feuerwaffen in großen Schlachten. Dabei stand jedoch der Zweckmäßigkeit der Feuerwaffen im Gefecht die traditionelle Haltung der Kriegerkaste, der Samurai, zum Schwert gegenüber. Mit Gewehren quasi anonym zu töten galt als unehrenhaft; 1637 wurden die Ronin zur Niederschlagung eines Aufstands eingesetzt. Danach verschwanden sie für die nächsten 200 Jahre – und die Kultur der Samurai war gerettet, bis der US-Admiral Matthew Perry 1854 die Öffnung der japanischen Häfen für den Handel mit den Kanonen seiner Kriegsflotte erzwang, was zur »Wiedereinführung der Feuerwaffen in Japan« führte. Aus den Samuraikriegern waren unterdessen Beamte und Verwalter geworden, die ihre Schwerter nur noch als Zeichen ihres Ranges trugen. Das Schwert ist die Seele des Samurai, sagte man. Aber wer damit kämpfen wollte, musste sich als Söldner ins Ausland begeben – u. a. in die holländischen Kolonien.

Als die Muskatnuss ab dem 16. Jahrhundert im Ruf stand, gegen die Pest zu helfen, stieg ihr Preis ins Unermessliche, sie wurde als »Gold Ostindiens« bezeichnet. Die 15.000 auf der Muskatinsel eliminierten Bandanesen wurden durch Sklaven aus anderen Gebieten ersetzt, um auf den Muskatnussplantagen zu arbeiten. 1667 tauschten die Niederländer Manhattan im Rahmen des Friedensvertrags von Breda gegen die winzige Muskatnussinsel Run, die bis dahin in englischem Besitz war.

Zur Zeit der Banda-Massaker schrieb der englische Philosoph und Lordkanzler Sir Francis Bacon in seiner Schrift »An Advertisement Touch­ing an Holy War« (1622) über diese »Mob und Menschenhorden« (»routs and shoals of people«), dass es für jede »zivilisierte und wohlgeordnete Nation« sowohl rechtmäßig als auch gottgefällig sei, wenn sie diese »vom Angesicht der Erde tilge«. Für Ghosh ist dies das Fundament der Doktrin eines »Liberal interventionism«, wie in den letzten Jahrzehnten von westlichen Mächten zur Rechtfertigung der »Kriege ihrer Wahl« angeführt wurde. Bacons mechanistischer »Empirismus« bot ihnen zugleich eine Wissenschaft, um die »Natur«, einschließlich Tiere, Pflanzen, Menschen, zu objektivieren, d. h. als »stumme Ressource« zu nutzen.

1735 verbrannten die Holländer 570 Tonnen Muskatnüsse, um den Preis in die Höhe zu treiben. 150 Jahre konnten sie ihr Muskatnussmonopol aufrechterhalten. Auf Samendiebstahl stand die Todesstrafe. Dem französischen Botaniker und Intendanten der Isle de France (Mauritius) und La Réunion, Pierre Poivre, gelang es jedoch 1770, ihr Gewürzmonopol zu brechen, indem er Samen der Muskatnussbäume stahl und nach Mauritius schmuggelte. Sie wurden dort dann ebenfalls in Plantagen angebaut. Poivre stieg damit zur »Kernfigur des Gewürzhandels« auf, wie Marc Jeanson und Charlotte Fauve in »Das Gedächtnis der Welt« (2020) schreiben.

Ab 1843 wurden Muskatnussbäume auch auf der Karibikinsel Grenada gepflanzt. Dort entwickelte sich die Muskatnuss zum Hauptexportprodukt – bis heute. Sie ist auf ihrer Flagge abgebildet. Nachdem eine sozialistische Regierung 1979 ein kostenloses Gesundheitssystem und basisdemokratische Verfahren eingeführt sowie Schulen gebaut hatte, wurde sie 1983 durch eine US-Militärinvasion gestürzt. Grenada hat seitdem kein stehendes Heer mehr, die Verteidigung hat die USA übernommen. Höchster Repräsentant ist der König von England, der den turnusmäßigen Marionettengouverneur einsetzt. Inzwischen lebt der größte Teil der Bevölkerung wieder in Armut – als »Stilleben« für US-Touristen.

Immer noch kein Abo?

Die junge Welt ist oft provokant, inhaltlich klar und immer ehrlich. Als einzige marxistische Tageszeitung Deutschlands beschäftigt sie sich mit den großen und drängendsten Fragen unserer Zeit: Wieso wird wieder aufgerüstet? Wer führt Krieg gegen wen? Wessen Interessen vertritt der Staat? Und wem nützen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse? Kurz: Wem gehört die Welt? In Zeiten wie diesen, in denen sich der Meinungskorridor in der BRD immer weiter schließt, ist die junge Welt unersetzlich.

Regio:

Mehr aus: Feuilleton