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Aus: Ausgabe vom 20.11.2023, Seite 6 / Ausland
Israel und Palästina

Warnungen ignoriert

Krieg in Nahost: Israel nahm Hinweise auf Offensive nicht ernst. Neue Erkenntnisse zu Musikfestival
Von Gerrit Hoekman
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In der Gemeinde Kfar Azza an der Grenze zu Gaza sollen Hamas-Kämpfer ein Massaker begangen haben (5.11.2023)

Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas hat am Sonnabend in einer von Palestine TV übertragenen Fernsehansprache den US-Präsidenten Joseph Biden erneut aufgerufen, sich für einen Waffenstillstand in Gaza einzusetzen und »diese humanitäre Katastrophe, diesen Völkermord zu stoppen«. Abbas verlangte auch, die Angriffe der israelischen Streitkräfte und der Siedler »gegen unser Volk im Westjordanland und in Jerusalem« zu verhindern. Biden drohte am selben Tag, israelische Extremisten, die Zivilisten in der Westbank angriffen, würden kein Visum mehr für die USA erhalten. Die Ankündigung dürfte Abbas nur mäßig zufriedenstellen.

Außerdem kamen am Wochenende neue Informationen über den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober an die Öffentlichkeit. Immerhin fragen sich die Welt und vor allem natürlich die Israelis: Wie konnte sich die immer wachsame israelische Armee so überrumpeln lassen? Einem Bericht des israelischen Senders N12 von Sonnabend zufolge hatte die Armeeführung Warnungen von Ausguckposten an der Grenze zum Gazastreifen in den Wind geschlagen. Mehr noch: Die Vorgesetzten drohten den Soldaten mit dem Militärgericht.

Die Ausguckposten hatten offenbar schon in den Monaten zuvor von verdächtigen Bewegungen und ungewöhnlichen Aktionen im Gazastreifen berichtet, die nach Kampftraining aussahen. Die Vorgesetzten hätten aber nichts von den Bedenken hören wollen, so N 12. Ein Posten habe sich daraufhin direkt an einen Oberbefehlshaber gewandt und bekam als Antwort: »Ich möchte nicht noch einmal von diesem Unsinn hören. Wenn Sie uns alle noch einmal mit diesen Dingen belästigen, werden Sie vor ein Militärgericht gestellt.« Eine Soldatin erzählte N 12, ein Kommandant habe ihre Sorgen beiseite gewischt: »Die Hamas ist nur ein Haufen Idioten, sie werden nichts tun.« Sie und ihre Kameraden hätten die Übungen der Palästinenser immer wieder beobachtet: »Wir schauten uns an und sagten: ›Scheiße, wird das eines Tages gegen uns sein? Dieser Mist, der uns so gleichgültig ist?‹«

Ebenfalls am Sonnabend gelangten neue Informationen über den Techno-Rave, der am 7. Oktober in der Wüste Negev stattfand, an die Öffentlichkeit. Ursprünglich war der Rave nur für Donnerstag und Freitag geplant gewesen, erfuhr die israelische Tageszeitung Haaretz aus Polizeiquellen. Erst am Dienstag zuvor hätten die Organisatoren den Samstag zusätzlich beantragt und genehmigt bekommen. »In israelischen Sicherheitsinstitutionen wächst die Einschätzung, dass die Hamas-Terroristen, die das Massaker vom 7. Oktober verübten, keine Vorkenntnis über das Nova-Musikfestival hatten«, schrieb Haaretz am Samstag. Die palästinensischen Angreifer hätten erst durch Drohnen oder Drachenflieger von der Party erfahren und spontan beschlossen, sie ins Visier zu nehmen. Diese Annahme werde auch dadurch gestützt, dass die Angreifer keine Landkarten der Gegend bei sich gehabt hätten, wie es an anderen Orten in Südisrael der Fall gewesen sei. Gefangengenommene Palästinenser hätten laut dem Sender N 12 ausgesagt, sie seien eigentlich auf dem Weg in Richtung der Großstädte Rischon LeZion und Tel Aviv gewesen.

»An der Veranstaltung nahmen nach unserer Schätzung etwa 4.400 Menschen teil, von denen die große Mehrheit fliehen konnte, nachdem vier Minuten nach dem Raketenangriff die Entscheidung getroffen worden war, die Veranstaltung aufzulösen«, zitierte Haaretz eine hochrangige Polizeiquelle. Eine halbe Stunde später seien die ersten Schüsse gefallen. 364 überwiegend junge Menschen wurden in der Folge getötet. Allerdings: »Einer Polizeiquelle zufolge deuten die Ermittlungen auch darauf hin, dass ein Kampfhubschrauber der israelischen Armee, der am Tatort eintraf und dort auf Terroristen schoss, offenbar auch einige Festivalteilnehmer traf«, hieß es in Haaretz. Das Maschinengewehrfeuer eines Helikopters könnte auch die zahlreichen Fahrzeuge erklären, die völlig zerstört und ausgebrannt entlang einer Straße standen, die vom Festivalgelände wegführte.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (20. November 2023 um 12:53 Uhr)
    Ich werde auch dank dieses Artikels den Eindruck nicht los, dass der Mossad nicht so dämlich war, wie er heute beschrieben wird. Was, wenn er sogar den politischen Auftrag hatte, wegzusehen und auch aktiv eingreifend einen veritablen Vorwand zu schaffen, um »in Gaza endgültig aufzuräumen«? »Bibi« Netanjahu ist alles zuzutrauen. Und dem Mossad auch.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralf S. aus Gießen (19. November 2023 um 23:38 Uhr)
    Der Begriff »Offensive« in diesem Zusammenhang ist schon ziemlich fragwürdig, weil er eine militärische Operation bezeichnet und dem ganzen Legitimation im Rahmen einer militärischen Konfrontation verleiht. Es dürfte aber nun wirklich niemandem entgangen sein, wie am 7. Oktober wahllos einfach alles abgeschlachtet wurde, was den motorisierten und vermutlich mit Drogen aufgeputschten Hamas-Terroristen (da muss man nicht mal gendern, weil es natürlich alles Männer waren) vor die Maschinengewehre kam, vermutlich waren ihnen Zivilist*innen auch lieber, die wehrlos waren und nicht zurückschossen, als bewaffnete Soldaten, die nämlich zurückschossen und auch den ein oder anderen Terroristen getötet haben, die ihren eigenen Tod dank ihrer Helmkameras gefilmt haben. Und das sage ich alles als jemand, der Israel als eine Besatzungsmacht sieht, die die Palästinenser unterdrückt. Aber bei aller klaren Sympathieverteilung in dem grundlegenden Konflikt, was am 7. Oktober stattfand, war keine »Offensive«. Die Hamas muss Israel wahrlich dankbar sein ob der Reaktion, denn angesichts der Gewaltorgie, mit der Israel seinerseits seit über einem Monat zurückschlägt, ist die Barbarei der Hamas (und ja!, das sage ich als Antiimperialist, denn das war wirklich Barbarei per Definition) komplett in den Hintergrund getreten.

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