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Aus: Ausgabe vom 21.11.2023, Seite 2 / Kapital & Arbeit
Klassenkampf in Bangladesch

»Deutsche Firmen stehen mit in der Verantwortung«

Bangladesch: Textilmindestlohn auf lediglich 12.500 Taka pro Monat angehoben. Proteste gehen weiter. Ein Gespräch mit Anne Munzert
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Textilarbeiterinnen fordern höhere Löhne und wehren sich in Dhaka gegen eine Polizeibarrikade (12.11.2023)

Die Regierung von Bangladesch hat den neuen Mindestlohn für 4,4 Millionen Bekleidungsarbeiterinnen und -arbeiter des Landes auf 12.500 Taka pro Monat festgelegt, umgerechnet 106 Euro. Ist das nicht zunächst ein Fortschritt für die Beschäftigten?

Der Mindestlohn in Bangladesch betrug die vergangenen fünf Jahre 8.000 Taka, also rund 68 Euro im Monat. Eine Studie, die wir mit Partnern vor Ort durchgeführt hatten, zeigt aber, dass der Lohn mindestens 23.000 Taka betragen muss, um nicht unter der Armutsgrenze zu liegen. Die Menschen, die für uns in Europa Kleidung herstellen, müssen sich verschulden, Mahlzeiten ausfallen lassen, enorme Überstunden leisten oder können ihre Kinder nicht zur Schule schicken. Der höhere Mindestlohn ist also kein Fortschritt. Zumal die Krisen der letzten Jahre – Corona und hohe Inflationsraten – starke Auswirkungen auf das Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter hatten. Dies wird nicht in den 12.500 Taka berücksichtigt.

Der Erhöhung waren wochenlange Lohnkämpfe vorausgegangen. Wie liefen diese ab?

Gewerkschaften hatten vor den Verhandlungen zu Protesten aufgerufen, denen sich zahlreiche Arbeiterinnen und Arbeiter angeschlossen hatten. Schon zu Beginn dieser Demons­trationen erreichten uns Nachrichten aus Bangladesch, dass Fabrikbesitzer die Arbeit von Gewerkschaften behindern, Aktivistinnen und Aktivisten einschüchtern. Vertreter von Femnet reisten im Oktober ins Land und sprachen mit Gewerkschaften sowie Arbeitern vor Ort. Dabei und in den Wochen danach kam es zu schweren Ausschreitungen bei den Demon­strationen, mindestens eine Arbeiterin und drei Arbeiter sind gestorben.

Die Regierung setzt Polizei und Schlägertrupps ein, um die Proteste zu beenden, Gewerkschaften werden seit Wochen bedroht. Tausende Beschäftigte wurden angezeigt, zahlreiche inhaftiert – so auch ein Gewerkschafter unserer Partnerorganisation. Im Juni war der Gewerkschafter Shahidul Islam getötet worden, nachdem er die Arbeiterinnen und Arbeiter der Fabrik Prince Jacquard Sweaters in ihrem Kampf um Lohnzahlungen unterstützt hatte.

Sie sehen die Verantwortung auch bei den hiesigen Modemarken. Wie verhalten die sich?

Deutsche Unternehmen stehen ohne Zweifel mit in der Verantwortung, da sie durch ihre Einkaufspraktiken die Löhne in den Produktionsländern maßgeblich mitbestimmen. Höhere Löhne können nur gezahlt werden, wenn Unternehmen faire Preise zahlen. Die Fabrikbesitzer stehen unter einem großen Preisdruck, da in der Regel derjenige den Auftrag bekommt, der das günstigste Angebot macht. Schon vor den Lohnverhandlungen haben Gewerkschaften Unternehmen dazu aufgerufen, die Forderungen von 23.000 Taka zu unterstützen. Traurigerweise gibt es keine größeren Marken aus Europa, die dies unterstützten.

Von denen gibt es kein Wort dazu?

Es gibt keine Erklärungen oder Stellungnahmen, warum sie den Forderungen, trotz der Ankündigung, die Einführung existenzsichernder Löhne unterstützen zu wollen, nicht nachkommen. Deswegen stellt sich die Frage, ob die angeblichen Bestrebungen der Markenunternehmen nach Existenzlöhnen nur leere Versprechungen sind, wenn sie noch nicht einmal die Forderungen nach einem neuen Mindestlohn von 23.000 Taka unterstützen können.

Die Gewerkschaften in Bangladesch üben scharfe Kritik am Lohnfindungsprozess.

Spätestens alle fünf Jahre muss sich ein Lohnausschuss formieren, der dann eine Empfehlung an die Premierministerin weitergibt. Besser wäre es, wenn sich der Ausschuss häufiger trifft, alle drei Jahre oder sogar jährlich, um Entwicklungen wie die hohen Inflationsraten berücksichtigen zu können. Der Prozess zur Bildung des Lohnausschusses, der im April dieses Jahres einberufen wurde, war sehr intransparent und undemokratisch. Die Arbeiterinnenvertretung wurde beispielsweise nicht von der größten Gewerkschaft des Landes gestellt, wie es das Gesetz vorschreibt, sondern von der Regierung. Das Gremium vertrat eher die Unternehmensseite.

Gewerkschaften und Beschäftigten bleibt nichts anderes übrig, als zu demonstrieren, was, wie die Proteste der letzten Wochen gezeigt haben, sehr gefährlich ist. Der neue Mindestlohn wird erst Anfang Januar in Kraft treten. Es ist also damit zu rechnen, dass die Demonstrationen weitergehen.

Anne Munzert ist Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Femnet e. V.

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