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Aus: Ausgabe vom 20.11.2023, Seite 10 / Feuilleton
Kunst

Wie hältst du’s mit Israel?

Nur nicht zu empathisch werden: Ein Symposium in Kassel über die Documenta 15 diskutierte die Kunst und den Gazakrieg
Von Ulrich Schneider
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Lauter Fragezeichen: Die Hilflosigkeit war dem Panel ins Gesicht geschrieben (v. l. n. r.: Heinz Bude, Nicole Deitelhoff, Meron Mendel, Kassel, 17.11.2023)

Am 17./18. November fand unter dem Titel »Die Documenta ­fifteen als Zäsur? Kunst, Politik, Öffentlichkeit« in Kassel ein mit reichlich medialer Aufmerksamkeit bedachtes Symposium zur letzten Documenta statt. Das klingt positiv, gäbe es da nicht die gebetsmühlenartig wiederholte Forderung, die Documenta müsse ihren Antisemitismusskandal aufarbeiten. Überlagert wurde die Veranstaltung von einem herben Rückschlag in der Vorbereitung der Documenta 16, die vom 12. Juni bis 19. September 2027 stattfinden soll. Waren in den Tagen zuvor mit dem indischen Schriftsteller Ranjit Hoskoté und der israelischen Künstlerin Bracha L. Ettinger zwei Mitglieder der Findungskommission für die Auswahl des zukünftigen Kurators zurückgetreten, erklärten am gleichen Tag die verbliebenen Mitglieder Simon Njami, Gong Yan, Kathrin Rhomberg und María Inés Rodríguez ebenfalls ihren Rückzug. Die internationalen Kunstexperten beklagten, dass das politische Klima in der BRD gegenwärtig eine breite und offene Diskussion unmöglich mache: »An die Stelle von Debatte und Diskussion treten so allzu leicht Vereinfachungen und Vorverurteilungen.« Daraus zogen sie die Konsequenzen: »Wir glauben nicht, dass es unter den gegenwärtigen Umständen in Deutschland einen Raum für einen offenen Gedankenaustausch und die Entwicklung komplexer und differenzierter künstlerischer Ansätze gibt, die Documenta-KünstlerInnen und KuratorInnen verdienen. Wir glauben nicht, dass kurzfristig akzeptable Bedingungen geschaffen werden können.«

Die Begrüßung durch die noch geschäftsführende hessische Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Bündnis 90/Die Grünen) am Freitag abend lieferte eine Bestätigung der Kritik, sprach sie doch nur von Antisemitismus auf der Documenta, ohne darauf näher einzugehen. Andreas Hoffmann (Documenta und Museum Fridericianum gGmbH) wies die Vorwürfe pauschal zurück und kündigte an, den Findungsprozess für die Documenta 16 vollständig neu aufzusetzen, aber erst, wenn die Beschlussfassung über die veränderten Strukturen abgeschlossen sei, was sicherlich nicht vor Sommer 2024 der Fall sein wird. In diesem Sinne meldete sich ungefragt auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) in der Presse zu Wort, wobei sie unter »neuen Strukturen« die direkte Einflussnahme der Bundespolitik in die Gestaltung der Documenta verstehen dürfte, die sie schon seit längerem durchzusetzen versucht.

In weiteren Statements wurde unterstellt, die Findungskommission wolle »ein bisschen Antisemitismus« zulassen, das sei jedoch eine »nicht verhandelbare rote Linie«. Der neue Kasseler Oberbürgermeister Sven Schoeller, ebenfalls von den Grünen, verwies auf die ambivalente Geschichte der Documenta und ihrer Macher und forderte, die Ausstellung müsse »verlorenes Vertrauen« zurückgewinnen. Bei wem, ließ er im Dunkeln.

Wer von dem Symposium erwartet hatte, dass es in den vier Foren um die Kunst und ihre gesellschaftliche Rolle auf der Documenta 15 gehen würde, wurde enttäuscht. Im Fokus aller Gesprächsrunden standen der Nahostkonflikt und Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart.

So sprachen zum Auftakt die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff, der Historiker Meron Mendel und der Soziologe Heinz Bude unter dem Titel »Deutsche Deutungskonflikte?« über Betroffenenperspektiven nach dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober. Der israelisch-deutsche Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, konfrontierte reflektiert die Realitäten des Krieges in Gaza mit den politischen Debatten über antikoloniale Perspektiven. In vielen Gesprächen erfahre er, welche großen Probleme Künstler bekämen, die sich zu empathisch zu Israel/Palästina äußerten. Seine Hilflosigkeit zeigte sich, als er die Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe ablehnte, jedoch vom Publikum Lösungsvorschläge für den Konflikt einforderte.

Nicole Deitelhoff glaubte, der Kunstszene pauschal eine »Israelfeindschaft« unterstellen zu müssen, weil ein von ihr veröffentlichtes Statement zum 7. Oktober auch international als einseitig proisraelisch kritisiert wurde. Ärgerlich wurde es am Schluss, als ein Teilnehmer glaubte, die Kuratoren der Documenta 15, Ruangrupa, als Anhänger der Hamas denunzieren zu können.

Auch am zweiten Tag, der deutlich schwächer besucht war, wurden Kunstwerke und Ausstellung nur randständig behandelt. Der Antisemitismusforscher Klaus Holz unterhielt sich angeregt mit Heinz Bude über die Genese des Antisemitismus. Unverständlich blieb, wieso er in »Antideutschen« eine progressive Kraft meint erkennen zu können. Erst auf Nachfrage ging er auf Werke der Documenta ein, wobei er fachlichen Einwänden zur Ikonographie nicht folgte. Er plädierte dennoch dafür, Widersprüche in der Kunst auszuhalten.

Auch in der Zoom-Konferenz mit dem Soziologen Natan Sznaider (Tel Aviv) und dem Kulturwissenschaftler Thomas Macho (Wien) stand die Kunst an zweiter Stelle. Eindrucksvoll waren Sznaiders Ausführungen über sein traumatisches Erleben der Massaker vom 7. Oktober. Anschließend formulierte er eine Selbstkritik. 2022 sei er noch dafür gewesen, die Werke des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi und andere als »israelfeindlich« bezeichnete Kunstwerke zu zeigen und damit eine Möglichkeit zur Debatte zu geben. Dies sehe er nun als Fehler an. Seine Verunsicherung fasste er in dem Satz zusammen: »Ich bin der Illusion beraubt, dass Israel ein sicherer Fluchtpunkt vor Antisemitismus ist.«

Zusammenfassend muss konstatiert werden, dass es an den beiden Tagen weniger um die Ereignisse der Documenta 15 ging, sondern um Israel und die Haltung der Kunstszene dazu. Ein tatsächliches Gespräch über die Documenta schien auch nicht intendiert gewesen zu sein, denn wie schon 2022 sprach man zwar über die Ausstellung, aber nicht mit den beteiligten Akteuren, obwohl zwei Mitglieder des Ruangrupa-Kollektivs noch in Kassel anwesend sind. Sie waren nicht zu der Tagung eingeladen.

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