Für Wasserstoff und Lachgas
Von Bernd Müller
In der Industrie soll der Ausstoß von Treibhausgasen durch Einsatz von »grünem Wasserstoff« reduziert werden, er soll in vielen Prozessen Erdgas ersetzen. Als großen Schritt hin zur Dekarbonisierung stellte die Bundesregierung am vergangenen Mittwoch einen Plan zum Aufbau eines Wasserstoffnetzes vor.
Bis 2032 sollen Leitungen mit einer Gesamtlänge von rund 9.700 Kilometern vorzugsweise Häfen, Fabriken und Kraftwerke verbinden. Die Ampel setzt dabei vordergründig auf die Privatwirtschaft: Finanziert werden soll der Aufbau über Netzentgelte. Weil diese in der Aufbauphase besonders hoch ausfallen und alles gefährden dürften, springt doch der Staat ein. Die Entgelte werden gedeckelt, der Differenzbetrag kommt vom Bund. Insgesamt könnten Kosten in Höhe von 19,8 Milliarden Euro entstehen. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen die Nutzer diesen Betrag zurückzahlen.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) begrüßte, »dass die erfahrenen Netzbetreiber das Wasserstoffnetz aufbauen und keine staatliche Gesellschaft, die am Reißbrett entsteht«, so Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. Die staatliche Absicherung sei zudem der richtige Weg, um »für ein angemessenes Investitionsumfeld zu sorgen«. Ob das auch potenziellen Investoren zusagt, bleibt abzuwarten.
Viele Fragen sind offen. Bereits jetzt ist abzusehen, dass ein überdimensioniertes Netz aufgebaut wird. Es wird mit einer Ausspeisekapazität von 270 Terawattstunden (TWh) geplant. Allerdings geht man für 2030 von einem Bedarf von 95 bis 130 TWh aus. Man plane eben für die Zukunft, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen) dazu. Wann das Netz wirtschaftlich betrieben werden kann, erklärte er nicht. Somit ist offen, ob die 19,8 Milliarden Euro zur »Dauerleihgabe« werden.
Auch technische Fragen müssen noch geklärt werden. Welt spottete online am Freitag, die Bundesregierung habe den Aufbau des Netzes verkündet, aber die Speicher vergessen. Deutschland verfüge zwar über die größten Gasspeicher in Europa. Aber ob diese in der vorgesehenen Zeit auf Wasserstoff umgerüstet werden könnten, sei fraglich.
Das Ende der russischen Lieferungen hat die bestehenden Gasspeicher in den Mittelpunkt der Versorgungsstrategie gerückt. Die bestehende Kapazität gilt als unverzichtbar und müsste ausgebaut werden, um die Versorgung auch in sehr kalten Wintern gewährleisten zu können. Deshalb tun sich die Behörden schwer damit, Gasspeicher stillzulegen, damit die Umrüstung auf die Speicherung von Wasserstoff beginnen kann.
Ein solcher Umbau würde sechseinhalb bis siebeneinhalb Jahre dauern, schrieb Welt auf ihrer Webseite unter Berufung auf die »Initiative Energie Speichern« (Ines), in der sich Speicherbetreiber zusammengeschlossen haben. Auch ein Neubau von Speichern wäre sehr zeitaufwändig: Elf Jahre dauert er laut Ines. Nach ihrer Einschätzung ist mit den bisherigen Planungen bis 2030 nur ein kleiner Teil der erforderlichen Speicherkapazitäten abgedeckt.
Deutschland wird von Energieimporten abhängig bleiben. Wasserstoff wird entweder via Pipeline angeliefert oder in Form von Ammoniak per Schiff. Die Umwandlung in Ammoniak hat den Vorteil, dass dieser nur auf minus 33 Grad Celsius gekühlt werden muss, um flüssig zu werden; bei Wasserstoff wären minus 253 Grad Celsius dafür notwendig. Einmal angeliefert, müsste das Ammoniak wieder in Wasserstoff zurückverwandelt oder direkt verarbeitet werden. Letzteres könnte zum Problem werden, aus den physikalischen und chemischen Eigenschaften ergeben sich hohe Anforderungen an die Infrastruktur.
Das Verbrennen von Ammoniak könnte erhebliche Umweltfolgen zeitigen, ergab eine Studie, die US-Forscher in der Fachzeitschrift PNAS vorstellten. Unter Umständen könnten große Mengen an Stickoxiden und Lachgas entweichen. Stickoxide sind bekannt dafür, tödliche Atemwegserkrankungen hervorrufen zu können. Lachgas gilt als etwa 300mal so klimawirksam wie Kohlendioxid.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (19. November 2023 um 20:49 Uhr)Wasserstoff muss nicht unbedingt per Pipeline oder an Stickstoff gebunden als Ammoniak angeliefert werden. Er kann auch ganz gut aus Erdgas, sprich LNG, per Dampfreformierung hergestellt werden (https://de.wikipedia.org/wiki/Dampfreformierung). Nicht nur in den USA, auch hierzulande steigt ein Hype um »blauen Wasserstoff« auf. Die massiven Aufwände für LNG-Terminals in Deutschland lassen in dieser Hinsicht nichts gutes befürchten, zumal Herr Habeck neuerdings seine Liebe zu CCS (Carbon Capture and Storage, Kohlenstoffabscheidung und Speicherung) entdeckt hat. »Weil dadurch das klimaschädliche CO2 nicht bzw. nur in geringen Mengen in die Atmosphäre gelangt, trägt dieses Verfahren auch nicht zum Treibhausgaseffekt bei«, sagt Herr Dr. Axel Wietfeld, CEO of Uniper Hydrogen GmbH zur Erzeugung von blauem Wasserstoff (https://www.uniper.energy/news/de/farbenlehre-im-blick-warum-ist-blauer-wasserstoff-so-wichtig). Die EU plant schon seit längerem Transport, Verladung und Speicherung von Kohlenstoffdioxid: https://energy.ec.europa.eu/system/files/2021-04/detailed_information_regarding_the_candidate_projects_in_co2_network_0.pdf . Die einschlägige Industrie mit ausgeförderten Öl- und Gasfeldern in der Nordsee hat großes Interesse an einer erneuten Nutzung dieser »assets«. In Deutschland ist es seit Beginn der zehner Jahre wegen der massiven Protestbewegungen ziemlich still um CCS geworden, international ging die Propaganda dafür weiter und schwappt jetzt zurück.
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