»Abschotten, ausgrenzen und überwachen«
Interview: Gitta Düperthal
Hessens neue CDU/SPD-Regierung in spe geht in Koalitionsverhandlungen. Nach einem Eckpunktepapier will sie abschieben, die Polizei aufrüsten sowie ein Genderverbot an Unis, Schulen und beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk verhängen. Wie bewerten Sie das?
Die Eckpunkte der künftigen »Hessen-Koalition« sind Ausdruck einer deutlichen Verschiebung nach rechts und könnten am Ende der AfD nutzen. In dem Papier kommen Themen wie Armut und soziale Gerechtigkeit erst gar nicht vor, obwohl jeder fünfte von Armut betroffen ist und etwa eine halbe Million Menschen zu Niedriglöhnen schuften muss. Die Devise scheint zu lauten: abschotten, ausgrenzen und überwachen. Statt Klimaschutz Flughäfen und Autobahnbau, gern auch zehnspurig. Dazu soll es ein »Heimatministerium« geben. Man bekennt sich zur Schuldenbremse, die den Ausbau der sozialen Infrastruktur verhindern wird. Bei sinkenden Steuereinnahmen drohen dramatische Kürzungen. Die CDU behauptet, eine christlich-soziale Koalition bilden zu wollen. Auch wenn man diesen »CSU-Sound« als passend für das Eckpunktepapier bezeichnen kann: Es ist in Wirklichkeit weder sozial noch christlich.
Welche Rolle spielt zukünftig die AfD, wenn deren Programm in Regierungshandeln übergeht?
Nach der Devise »genau das haben wir immer gefordert« könnten sie Teile der Koalitionsvereinbarungen in ihre Anträge übernehmen. Die CDU in Hessen bereitet mit ihrer Entscheidung eine große Koalition im Bund vor. Der Parteivorsitzende Friedrich Merz ist schon mit üblen Äußerungen zur Migration aufgefallen, will seine Partei als »Alternative für Deutschland mit Substanz« in Stellung bringen. Die ohnehin gestärkt aus der Wahl hervorgegangene AfD dürfte sich die Hände reiben, dass man ihre Parolen übernimmt.
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) musste den zukünftigen Koalitionspartner SPD gegen Kritik von Bündnis90/Die Grünen in Schutz nehmen. Warum?
Mit Unterwerfung kennen sich die Grünen ja aus. Für sie ist die Entscheidung der CDU zugunsten der SPD bitter. Sie haben sich seit 2013 ihrer politischen Grundsätze nahezu völlig entledigt, um mit der CDU regieren zu dürfen: Sie haben der Einsetzung des ersten NSU-Untersuchungsausschusses nicht zugestimmt, den Flughafenausbau durchgewinkt, den Dannenröder Wald roden lassen, die Privatisierung des Uniklinikums in Marburg millionenschwer subventioniert. Zum Dank für all das erhalten sie den Laufpass.
Sind überhaupt sozialpolitische Vorhaben geplant?
Die SPD hat für einen Platz am Katzentisch der CDU nahezu vollständig auf ihre Inhalte verzichtet. Auch das traditionelle »Links blinken« blieb aus, sie ist gleich zu Beginn der Verhandlungen scharf nach rechts abgebogen. Sucht man mit der Lupe im Eckpunktepapier, findet man ein Gesetz gegen Leerstand und Zweckentfremdung von Wohnraum in Ballungsräumen und eine Übergangsfinanzierung für von der Ampelregierung bedrohte Kliniken. Die Linke hat das immer gefordert. Aber ob solche Versprechen eingelöst werden: Wer weiß das schon?
Wird der hessischen Polizei bei Rassismus und rechten Chats in Zukunft weniger auf die Finger geschaut?
Die Linke hat entschieden zur Aufklärung von rechtem Terror und Umtrieben wie Netzwerken in den Sicherheitsbehörden beigetragen. Das Eckpunktepapier von CDU und SPD gibt einen Vorgeschmack darauf, wie sehr die linke Opposition im Landtag fehlen wird.
Vor 15 Jahren schallte der Ruf »Koch muss weg« durch Hessen. Der Leidensdruck unter der Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) war groß. Auch darum kam Die Linke in den Landtag. Wie wird es unter Boris Rhein (CDU) weitergehen?
Wenn Rhein diesen Rechtsschwenk politisch umsetzen will, muss er mit unserem Widerstand auf der Straße als außerparlamentarische Opposition rechnen. Wir werden die CDU/SPD-Landesregierung gemeinsam mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und Initiativen von links unter Druck setzen: für soziale Gerechtigkeit und gegen rechts
Jan Schalauske ist Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Hessischen Landtag.
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